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Rudolf Vrba: "Ich kann nicht vergeben"

Auschwitz-Protokolle: Der Warnruf des KZ-Überlebenden Rudolf Vrba ist neu erschienen.

Als der 17-jährige Walter Rosenberg – heute bekannt als Rudolf Vrba – 1942 ins KZ eingeliefert wurde und dort einen Schulkameraden traf, war seine erste Frage: „Lässt es sich leben?“ Die zögernde Antwort: „Eine Zeit lang … vielleicht.“ Das war realistisch, realistischer als die unwahrscheinliche Tatsache, dass der slowakische Jude Rosenberg mehr als zwei Jahre Auschwitz überleben, mit einem Kameraden fliehen und vor der Weltöffentlichkeit den Völkermord an den europäischen Juden bezeugen würde. Der gemeinsam mit dem Fluchtgefährten Alfréd Wetzler 1944 verfasste Vrba-Wetzler-Bericht war der erste von drei zeitgenössischen Augenzeugenberichten aus dem Zentrum des Grauens der Vernichtungslager – Historikern als „Auschwitz-Protokolle“ geläufig. Geschrieben wurde er als Warnruf vor der drohenden Deportation der ungarischen Juden, der erst auf einem Umweg über den Vatikan die Weltöffentlichkeit erreichte, nachdem der ungarische Judenrat als erster Adressat ihn in geheime Verhandlungen mit Adolf Eichmann eingeführt hatte. Bis heute ist umstritten, ob dieses Vorgehen nicht mehr Menschenleben gekostet als gerettet hat.

Rudolf Vrba war entschieden dieser Meinung, als er 1963 einem englischen Journalisten, der sein Co-Autor wurde, sein Schicksal in und nach Auschwitz als Fortsetzung für den „Daily Herald“ erzählte. Unter dem Titel „Ich kann nicht vergeben“ erschien die Buchausgabe in mehreren Sprachen, auch in einer deutschen Ausgabe bei einem – leider nur kurze Zeit politisch engagierten – Verlag des Bertelsmann-Konzerns. Die kommentierte Neuausgabe, vier Jahre nach dem Tod des Autors und in neuer Übersetzung, enthält ein späteres Vorwort des Autors, nachdem er als Zeuge im Frankfurter Auschwitzprozess den seine Taten leugnenden Hauptangeklagten Robert Mulka entscheidend belastet hatte, und eine Einleitung von Beate Klarsfeld. Sie stellt sein Buch sogar noch über Primo Levis KZ-Erinnerungen, um schlicht zu konstatieren: „Es ist notwendig, seinen Bericht und dieses Buch zu lesen.“ Leider immer noch, nach David Irving, Horst Mahler und Bischof Williamson.

So verständlich sein bekenntnishafter Buchtitel ist, so bewegend ist sein kurzer Epilog, in dem er sich zu seiner unversöhnlichen Anklage der Täter bekennt, „um das Gewissen einer Nation öffentlich zu reinigen“. Er könne zwar nicht vergeben, aber auch „das Land nicht vergessen, das Beethoven, Mozart und Mendelssohn, Kant und Hegel, Goethe und Thomas Mann, Einstein, Max Planck und Heisenberg hervorgebracht hat; selbst wenn es mir schwerfällt zu glauben, dass eine Nation sowohl Höchstleistungen der Kultur und Zivilisation als auch der Barbarei vollbringen kann“.

Rudolf Vrba: Ich kann nicht vergeben. Meine Flucht aus Auschwitz. Schöffling & Co, Frankfurt/M. 2010. 496 Seiten, 28 Euro.

Hannes Schwenger

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