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Kultur: Rückblick: Auch nicht besser

"Ja, ich bin ein Rassist", sagt die Stimme aus dem Off. Es ist die Stimme eines amerikanischen Juden.

"Ja, ich bin ein Rassist", sagt die Stimme aus dem Off. Es ist die Stimme eines amerikanischen Juden. Er kann die Deutschen nicht leiden. Er hat Vorurteile. Er müsse sich dafür nicht rechtfertigen, sagt er. Die Deutschen seien Antisemiten, Vergebung sei unmöglich. "Ja, ich bin ein Rassist." Die Stimme ist eine von vielen in diesem Film. Fast alle klagen sie Deutschland an. Das ist bitter und erschütternd. Und aufschlussreich in all den Ängsten und der Unwissenheit. Die New Yorker Video-Künstlerin Diane Nerwen - derzeit eine von drei DAAD-Filmstipendiatinnen in Berlin - hat für ihren Film "In the Blood" amerikanische Juden zu Deutschland befragt. Ihr Videoprojekt, nur einmal im Arsenal gezeigt, ist kein Dokumentarfilm, sondern ein collagierter Essay. Die Stimmen sind nur aus dem Off zu hören. Darüber liegen meist aktuelle Berlin-Aufnahmen: Deutschland, ganz normal. Doch die Bilder von Gestern schimmern durch die anderen Aufnahmen hindurch. Und manchmal lässt die Regisseurin Bilder und O-Töne aufeinanderprallen, deren Zusammenstoß in Deutschland zu schrill klingt. Einmal sehen wir das Gesicht einer Jüdin, die von den Nazis auf "typische" Physiognomie-Merkmale untersucht wird. Darunter hat Nerwen deutschlandfeindliche Anklagen gelegt, als wollte sie sagen: Seht, die jüdischen Vorurteile sind auch nicht besser. Radikalkontraste für ein (jüdisch-)amerikanisches Publikum, bis zur Polemik ausgereizt. All das wäre diskussionswürdig genug. Doch Nerwen hat noch weiter ausgeholt: die Shoah als Konsumgut, deutscher Umgang mit Geschichte, jüdische Identitätsbildung durch den Holocaust, philosemitische Vereinnahmung deutscher Juden ... In einer halben Stunde reißt sie Themen an, die für ein Dutzend Tagungen und Bücher reichen würden. Mit dieser Fülle an Konfliktthemen macht sie es sich selber schwer. Und dem Zuschauer erst recht.

Julian Hanich

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