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Kultur: Rückblick: Kabarett: Großspurig

Wer in den siebziger oder achtziger Jahren aufgewachsen ist, muss von seiner Generation gar nicht viel halten - entkommen kann er ihr trotzdem nicht. Entweder schreibt einer ein Buch über sie, wie Florian Illies, oder es macht einer ein Kabarettprogramm daraus, so wie Jess Jochimsen.

Wer in den siebziger oder achtziger Jahren aufgewachsen ist, muss von seiner Generation gar nicht viel halten - entkommen kann er ihr trotzdem nicht. Entweder schreibt einer ein Buch über sie, wie Florian Illies, oder es macht einer ein Kabarettprogramm daraus, so wie Jess Jochimsen. Und schon ist alles wieder da: Wickie und die Männer von Flake, die peinlichen Wollfäustlinge, der Glaubenskrieg zwischen "Geha" und "Pelikan", und natürlich das dicke Stoffvieh aus der "Bärenmarke"-Werbung. Der verdankt Jochimsen sein "Dosenmilchtrauma", nach dem er jetzt sogar sein neues Programm benannt hat, das gerade im Mehringhoftheater Berliner Premiere feierte (bis 16.3., Di bis Sa, 20 Uhr 30). Man lacht hier über sich selbst, über das tapsige Kind, das man gewesen und auch geblieben ist, über die bockige Weigerung, erwachsen und spießig zu werden. Jochimsen hat seine anekdotische Erinnerungsreise mit stetem Gegenwartsbezug in einem Büchlein aufgeschrieben. Aus dem trägt er nun einfach vor, erzählt von einem dieser Klassentreffen, die einem die eigene Mittelmäßigkeit mal wieder schmerzlich vor Augen führen. Als einzige Rettung winkt die Flucht in die Nostalgie: "Wir sind die jüngste Generation aller Zeiten, die glaubt, dass früher alles besser war." Schmunzelwitz hat das, und das wäre ja eigentlich schon genug. Jochimsen aber hat sich nicht entscheiden können, ob er nun Kabarett macht oder Comedy. Er will sich nicht nur in feiner Satire ergehen, sondern auch blödeln und Grimassen schneiden, Lieder singen und Frösche - ja, Frösche - spielen. Leider sieht seine jungenhafte Komik dann doch nur aus wie eine matte Kopie des TV-Kollegen Mittermeier, mager ausgestattet noch dazu mit Gagmaterial, das er bereits im Vorgängerprogramm "Friss, vögel oder stirb" verramscht hat. Neu sind dagegen die Dias, die er zu kruden Gitarrenimprovisationen vorführt: Bilder aus dem grotesken deutschen Schilderwald ("Fachgeschäft für Senioren, Behinderte und Linkshänder"), tragikomische Impressionen kleinbürgerlichen Elends. Ein Ausflug ins Absurdistan, der Jess Jochimsen zur Entlarvung einer eitlen Generation verhilft, die dem Spaß entsagt, aber den Sinn noch nicht gefunden hat.

Roman Deininger

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