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Kultur: Rückblick: Theater: Graue Erinnerung

Der alte Herr hat seinen Lebensmittelpunkt gefunden: "Selbst nach zwei Stunden Mittagsschlaf sitzt du auf deinem Sofa, bist halb angezogen und findest keinen Grund dich endlich zu erheben." Dann steht er in roter Badehose und gelbem Synthetik-Shirt vor dem Bett, nimmt seine Gitarre und singt: "Nach schönen Worten suchen ist bestimmt viel besser als töten.

Der alte Herr hat seinen Lebensmittelpunkt gefunden: "Selbst nach zwei Stunden Mittagsschlaf sitzt du auf deinem Sofa, bist halb angezogen und findest keinen Grund dich endlich zu erheben." Dann steht er in roter Badehose und gelbem Synthetik-Shirt vor dem Bett, nimmt seine Gitarre und singt: "Nach schönen Worten suchen ist bestimmt viel besser als töten." Er ist einer der DDR-Bürger aus Lothar Trolles Monologen, die in der Gesellschaft gescheitert sind. Der amerikanische Regisseur Jay Scheib und die Studentin Adeline Rosenstein haben die Texte zu einem zweiteiligen Theaterstück verarbeitet. Sie Gestatten! - das könnte auch Herr Lehmann sagen, bevor er beginnt, sich in seinen Erinnerungen zu verlieren. Denkt an seinen ersten Tag an der Universität; er, der von seinem Betrieb zum Studium delegiert wurde, zwischen all den lebensfrohen, jungen, flirtenden Menschen. Doch auch sie werden einmal im grauen Arbeitalltag ersticken. Trotzdem singt er weiter sozialistische Lieder, während sein weibliches Pendant im glitzernden Sternenbanner-Bikini unter dem Polstersessel begraben liegt. Diese Bilder werden überrannt von der Vielzahl der angerissenen Themen im 3. Stock der Volksbühne (wieder am 10.+11., 15.+16. sowie 23.+24.05, 20 Uhr). Von den blau uniformierten Enkelinnen, die geschockt sind, dass die Einwohner einer Stadt ihre Kreidemalereien und somit ein kleines Stück ihrer Kinderseelen zerstören, geht es weiter nach Auschwitz. Lizzy erinnert sich an die Ankunft des Kindertransports, sie, die heute noch versehentlich die auf dem Arm eintätowierte Zahl als Telefonnummer weitergibt. "Nachdenken lohnt sich doch!" sagt der alte Herr am Ende. Dem Zuschauer fällt das schwer - fehlt diesem Theaterabend doch eine klare Linie.

Denise Dismer

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