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Kultur: Rückzugsgefechte

Wer glaubt schon einem Finanzminister, der versichert, die Regierung entlaste die Bürger durch ständige Steuersenkungen, wenn gleichzeitig die Preise steigen? Die Indizien sprechen gegen die Behauptung, und außerdem wissen wir: Er wirbt in eigener Sache.

Wer glaubt schon einem Finanzminister, der versichert, die Regierung entlaste die Bürger durch ständige Steuersenkungen, wenn gleichzeitig die Preise steigen? Die Indizien sprechen gegen die Behauptung, und außerdem wissen wir: Er wirbt in eigener Sache. So steht es auch mit dem Bericht der Rechtschreibkommission, über den der Tagesspiegel am 4 .3. wohlwollend berichtet hat. Selbst Konservative hätten sich an die neue Rechtschreibung gewöhnt. Wer das sein soll? Die Schriftsteller auf jeden Fall nicht. Sie bestehen in großer Mehrheit darauf, dass ihre Texte nicht durch den Wolf der neuen Rechtschreibung gedreht werden. Dies gilt auch für die Mehrheit der Wissenschaftsverlage und alle Branchen der Belletristik. Sie sind wie die "FAZ" und die Wiener "Presse" bei der bisherigen Rechtschreibung geblieben und warten ab, ob die vielen Mängel korrigiert werden. Es sind eben die Profis des Schreibens, die sich weder mit willkürlicher Getrenntschreibung zahlreicher Zusammensetzungen (Eisen verarbeitende Industrie, die so genannte DDR) noch mit grammatisch falschen und zum Teil inhaltlich irreführenden Großschreibungen (er tut mir Leid, wir gehen alle Pleite) abfinden wollen. Die Rechtschreibkommission hat inzwischen viele anstößige Schreibungen, die sich aus der rigiden Anwendung pauschaler Regeln ergeben, wieder zurückgenommen (so darf man wieder "wiedersehen" schreiben, um nicht mit einem Fall von kurierter Blindheit verwechselt zu werden); auch plant die Kommission weitere Zugeständnisse, meist indem sie die alte Schreibweise als Variante zulässt.

Man kann sagen: Das ist der Grabenkampf der Reformer mit ihren Kritikern. Die Verbesserungen im Detail, die die Kommission als Präzisierungen ausgibt, werden sukzessive durch die Zusammenarbeit mit dem Dudenverlag und mit Bertelsmann in die jeweils neuesten Rechtschreibwörterbücher eingespeist. Davon kann sich jeder durch einen Vergleich mit der ersten Wörterbuchgeneration von 1996 überzeugen. Man könnte diese Verbesserungsarbeit an der neuen Rechtschreibung loben, wenn sie nicht nur wortweise erfolgte, sondern von der Einsicht getragen wäre, dass es die neuen Regeln sind, die die falschen Schreibungen erzeugt haben.

Die Glaubwürdigkeit der Rechtschreibkommission leidet jedoch vor allem an einem Handikap, das weit in die Vorgeschichte der Rechtschreibreform zurückreicht. Es ist ihre Zusammensetzung. Die meisten der 12 Mitglieder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben bereits den früheren Rechtschreibkommissionen angehört, die die neuen Regeln ausgearbeitet haben. Zumal die Vorsitzenden von damals sind jetzt wieder dabei. Jene Rechtschreibkommissionen der 80er Jahre hatten sich im Wesentlichen durch eigene Zuwahl konstituiert und erst nachträglich den ministerialen Auftrag erhalten, Vorschläge zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung auszuarbeiten. Ein Drittes kommt hinzu: Die Politik war 1996 in die Rechtschreibreform hineingestolpert, ohne zu ahnen, worauf sie sich einlässt. Es gab keine Erprobung in den Schulen, keine Zusammenarbeit mit den Wörterbuchverlagen. Niemand wusste, wie sich die neuen Regeln auf den Gesamtwortschatz auswirken werden. Niemand war bereit gewesen, für solche Vorarbeiten Geld auszugeben. So kam es dazu, dass die neue Rechtschreibung in den erneuerten Rechtschreibwörterbüchern viele unterschiedliche Auslegungen erfuhr. Als sie erschienen, war der Zug der Einführung in den Schulen bereits in Bewegung gesetzt worden. Nun mussten alle Schulbuchverlage ihre Produktion umstellen, und die Schulen hatten nach und nach den gesamten Bestand ihrer Lehrbücher auszuwechseln. So entstanden wirtschaftliche Zwänge, die Rechtschreibreform weder anzuhalten noch zu korrigieren. Also sollte man den Bericht der Rechtschreibkommission auch unter dem Aspekt betrachten, dass ihr eine grundlegende Revision untersagt wurde.

Was hat dies alles mit dem Alltag der Rechtschreibung zu tun? Ist es nicht müßig, über Berichte zu rechten, wenn sich die Sprachgemeinschaft längst entschieden hat? Dies eben bezweifle ich. Man darf nicht alle Deutschen, die schreiben lernen und lesen können, in einen Topf werfen. Der Unterricht der Rechtschreibung ist eine Domäne der Grundschule. Dabei geht es vor allem um die Grundregeln unserer Alphabetschrift. Diese sind jetzt besser beschrieben als zuvor. Die Erforschung der Orthographie im Vorfeld der Reform hat dazu viel beigetragen. So erklärt sich die Zustimmung vieler Lehrer. Sicherheit im Umgang mit der Rechtschreibung erlangt man aber erst als Jugendlicher oder Erwachsener durch regelmäßige Lektüre und eigenes Schreiben. Hier differenziert sich die Sprachgemeinschaft. Vor allem alle, die berufsmäßig Texte verfassen oder bearbeiten, also Schriftsteller und Lehrer, Redakteure, Professoren, Juristen und viele andere haben ein höchst anspruchsvolles Ausdrucksbedürfnis.

Im Kontakt zwischen gebildeten Autoren und gebildeten Lesern ist so bereits Ende des 18. Jahrhunderts ein recht kompliziertes Regelsystem deutscher Schriftkultur entstanden, das 1901 weitestgehend staatlich abgesegnet wurde. Dies sind die Hintergründe für eine differenzierte Bewertung der Rechtschreibreform. Jetzt ist Halbzeit zwischen Beginn und Ende der Übergangsfrist. Da sollte man abwägen, was überwiegend Zustimmung und was weithin Ablehnung erfahren hat. Zum ersten gehört sicherlich die ss- statt ß-Schreibung, die ja 90 Prozent aller Änderungsfälle ausmacht. Auf der anderen Seite stehen die selteneren Neuregelungsfälle bei getrennt und zusammen sowie groß und klein. Hier haben sich die Rechtschreibkommissionen vergaloppiert. Ihre vereinfachten Regeln werden der Sprachentwicklung und dem grammatischen Verständnis gebildeter Sprachbenutzer häufig nicht gerecht. Viele dieser Fälle werden nun im Kommissionsbericht erörtert. Optimisten können daraus Hoffnung schöpfen.

Horst Haider Munske

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