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Kultur: Rüstung: Abhängig vom Auftrag

Das Computerprogramm zaubert die Karte der Küste vor Abu Dhabi auf den Bildschirm. In der Simulation werden zwei gegnerische Ziele von einem Nato-Schiff, das zwischen den Hafenanlagen in Deckung liegt, bekämpft: das eine gut 30 Kilometer nördlich, das andere 20 Kilometer südwestlich.

Das Computerprogramm zaubert die Karte der Küste vor Abu Dhabi auf den Bildschirm. In der Simulation werden zwei gegnerische Ziele von einem Nato-Schiff, das zwischen den Hafenanlagen in Deckung liegt, bekämpft: das eine gut 30 Kilometer nördlich, das andere 20 Kilometer südwestlich. Außerdem braucht das Kommando mehr Informationen über weitere suspekte Objekte im Umkreis, will aber nicht eigene Piloten durch Luftangriffe oder Aufklärungsflüge in Gefahr bringen.

In solchen Situationen werden Hightech-Waffen gebraucht - wie der in Deutschland entwickelte Lenkflugkörper "Polyphem", der mit einer schwenkbaren Infrarot-Kamera ausgestattet ist und 60 Kilometer Reichweite hat; per Glasfaserkabel leitet er alle Bilder im Flug an das Einsatzkommando und lässt sich bis zum Ziel punktgenau steuern - ein irrtümlicher Angriff kann abgebrochen werden. "Ein hochmodernes Waffensystem, das in dieser Reichweite nicht einmal die USA haben", gibt man sich bei der LFK-Lenkflugkörpersysteme GmbH auf dem früheren Siemens-Gelände in Unterschleißheim bei München stolz.

Aber Moment mal! Klagen die Verteidigungsexperten nicht seit dem Kosovo- und dem Afghanistan-Krieg über den "technology gap" - Europa liege in der modernen Wehrtechnik mit weitem Abstand hinter den USA? So pauschal stimme das nicht, sagt Thomas Enders, Vorstandsmitglied des europäischen Rüstungskonzerns EADS, zu dem sich im Juli 2000 die DaimlerChrysler Aerospace AG, die französische Aerospatiale Matra und die spanische Casa zusammengeschlossen haben, weil sie allein auf sich gestellt keine Überlebenschance mehr sahen.

"In vielen Schlüsseltechnologien der zukünftigen Verteidigung liegt Amerika weit vor uns", muss Enders einräumen. "Aber auch Europa hat einiges zu bieten." Nicht nur den zivilen Airbus - und demnächst auch den militärischen. Bei Helikoptern ist Europa "die Nummer eins im zivilen US-Markt" und hat eine Laser-Technik entwickelt, die Hochspannungsleitungen für Hubschrauber-Piloten sichtbar macht. Konkurrenzfähig sei Europa auch bei Spezialflugzeugen zum Auftanken von Kampfjets in der Luft.

Doch mit der heute noch vorhandenen Wettbewerbsfähigkeit Europas und speziell Deutschlands in Teilbereichen könnte es bald ganz vorbei sein, fürchtet Enders. EADS lebt zwar zu 80 Prozent von zivilen Verkäufen, ist aber in den forschungsintensiven Militärsparten auf Aufträge des Verteidigungsministeriums angewiesen. Die aber bleiben aus. Der Wehretat wurde bei 23,6 Milliarden Euro gedeckelt, die Personalkosten der Armee fressen 53 Prozent davon auf - Tendenz steigend. Nach Abzug der Ausgaben für Betrieb und Erhalt bleiben 3,3 Milliarden jährlich für Beschaffung, Tendenz sinkend: "Jede Lohnrunde kostet eine halbe Milliarde, die werden an den Investitionen in modernes Gerät gespart", rechnet man bei der EADS.

Die Pleite drohte

Im Fall des Lenkflugkörpers "Polyphem" bedeutet das: Die LFK hat zig Millionen Mark Entwicklungskosten vorgestreckt - im Glauben, dass die Marine kauft. So steht es in der Bewaffnungsplanung für die neuen Korvetten. Die Schiffe sind bestellt, die Bewaffnung aus Geldmangel nicht. Die LFK wäre pleite, wenn die EADS-Gesellschafter nicht frisches Kapital nachgeschossen hätten. Ähnlich beim Waffensystem "Taurus", einer Art "Cruise Missile", mit der die Tornados und Eurofighter ausgestattet werden sollen. Der Auftrag von 550 Millionen Euro sollte Ende 2001 durch den Haushaltsausschuss, doch bisher hat das Verteidigungsministerium die Beschlussvorlagen nicht weitergeleitet.

"Wir sind in der Lage eines Bauern, der seine Saatkartoffeln verspeist", beschreibt Enders die Lage angesichts dramatisch schrumpfender Budgets für Forschung und Entwicklung in Berlin. Und befürchtet, bald weitere Abteilungen schließen zu müssen - und das heute noch vorhandene Know-how für Militär-Hightech zu verlieren.

Seit 1989 ist die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Rüstungsindustrie von rund 280 000 auf unter 90 000 gesunken, legt das Verteidigungsministerium im jüngsten Bericht des Parlamentarischen Staatssekretärs Walter Kolbow über die Rüstungsindustrie an den Verteidigungsausschuss dar und stellt dann fest: In den sicherheitsrelevanten Bereichen sei der "Know-how-Erhalt gefährdet". Der Bericht empfiehlt eine Ausweitung der Rüstungsexporte - was eine Kehrtwende der restriktiven rot-grünen Politik bedeuten würde. Und räumt ein, die Exportchancen hingen auch davon ab, dass erstmal die nationale Armee die Waffen bestelle.

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