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Kultur: Ruinen der Neuen Welt

Bilder der Unbehaustheit: Werkschau des Malerstars Eberhard Havekost in Wolfsburg

Die Grand Tour geht für heutige Künstler nicht mehr nach Italien und Griechenland, sondern in die USA: zu den endlosen Stadtlandschaften von Los Angeles, den künstlichen Welten von Las Vegas, vielleicht spürt man noch etwas vom alten Flower-Power-Flair San Franciscos. Diese Klischees sind zur großen Inspiration geworden, von Pipilotti Rist über Michael Wesely bis zu Wim Wenders.

Auch Eberhard Havekost, einer der höchstgehandelten Vertreter der neuen deutschen Malerei, hat sich 2005 auf den Weg in den weiten Westen gemacht, hat rund 500 Fotografien mitgebracht, die er nun zu Bildern stilisiert: die „Augen“ von Überwachungskameras, einen US-General mit Narben im Gesicht oder einen gefährlich brüllenden Bär („Harmonie“). Was im 19. Jahrhundert die Ruinen Roms waren, sind heute die Überreste des 20. Jahrhunderts.Verlassene Motels, Straßenschilder, Blechwracks. „Destiny“ heißt die Serie aus sechs großformatigen Bildern, in der Havekost das Wrack eines alten, rostbraunen Chevrolet in ein bestechend schönes Memento Mori verwandelt.

Reisen, Ortswechsel, Unbehaustheit: Das sind Konstanten in Havekosts Werk, schon vor der großen Reise in die USA. Dahinsausende Züge und der verschwommene Blick aus dem Fenster hat er gemalt, Flugzeuge, Wohnwagen und immer wieder Zelte. Häuser für Unbehauste, transitorische Domizile, nur eine dünne Schutzhaut zwischen draußen und drinnen. Gemalt aber in fetten, glatten Strichen, sehr sicher, sehr diesseitig. Während etwa Maler wie Peter Doig oder Daniel Richter in jedem Bild den Zweifel durchscheinen lassen, durch dünne, kaum deckende Farbflächen, behauptet sich Havekost in seiner Welt. Und wird für diese Sicherheit geschätzt. Ein D-Zug-Bild erbrachte bei den Sotheby’s-Herbstauktionen in London den Toppreis von 102 000 Pfund – ähnlich erfolgreich wie Tim Eitel und Matthias Weischer, vom längst unbezahlbaren Neo Rauch nicht zu sprechen.

Da ist das Kunstmuseum Wolfsburg glücklich dran. Schon früh haben die dortigen Kuratoren begonnen, Arbeiten des 1967 in Dresden geborenen Malers zu sammeln. Zur Überblicksausstellung „Painting Pictures“ waren 2003, auf dem Höhepunkt des Malerei-Hypes, einige Havekost-Werke dabei, ein Jahr später, zum 10. Jubiläum des Hauses, erwarb man eine mehrteilige Werkgruppe.

So kann man nun mit rund 100 Einzelarbeiten die erste Retrospektive in Deutschland zeigen, begleitet von einigen unter „Generation X“ gefassten Weggenossen wie Michel Majerus, Elizabeth Peyton, Franz Ackermann und Neo Rauch. Doch alle Sicherheit ist Manipulation. Immer nur in Ausschnitten sehen wir bei Havekost die Welt, und auch diese halten nicht, was sie versprechen. „Sport“ heißt ein fast plakathaft leuchtendes Bild von 2003, drei Snowboard-Fahrer, kurz vor dem Start, strahlend in Weiß und Blau. Das gleiche Bild gibt es noch einmal: als „Sport dunkel“, der Himmel rötlich verfärbt, das Tal finster, bedrohlich. Düsternis, Zerstörung, Verwahrlosung, Zivilisationsmüll: die Zeichen der Melancholie mehren sich in Havekosts Werk. Vielleicht weiß es schon um die eigene Vergänglichkeit. Christina Tilmann

Eberhard Havekost, Harmonie. Kunstmuseum Wolfsburg, bis 19. Februar. Katalog (Hatje Cantz) 18 Euro

Christina Tilmann

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