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Schildbürger: Russische Aktivisten im Kampf gegen Homophobie.

© dpa

Russlands Umgang mit Homosexuellen: Das Ende Europas

Nach dem Sieg von Conchita Wurst beim ESC und zum Internationalen Tag gegen Homo-und Transphobie am heutigen Sonnabend: Wie Russland mit Homosexuellen umgeht.

Das konservative Russland hat ein neues Feindbild, es trägt zu Diven-Outfit einen Bart. Keinen Damenbart, sondern einen richtigen, der einen hohen Testosteron-Spiegel vermuten lässt und in Moskau Politikern aller Couleur die Steilvorlage für scharfe Verbalattacken gegen das dekadente Abendland liefert. Dass der Travestiekünstler Conchita Wurst den Eurovision Song Contest (ESC) gewann, zeige „Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet“, twitterte Vizeregierungschef Dmitri Rogosin. Rogosin, der schon als Russlands NATO-Botschafter in Brüssel permanent als notorischer Scharfmacher auffiel und zuvor als Chef der linksnationalen Partei den Gralshüter traditioneller russischer Werte gegeben hatte, hat aus seiner Abneigung gegen Schwule, Lesben und Transgender nie einen Hehl gemacht.

Ebenso wenig wie Wladimir Schirinowski, der in der Perestroika die ultranationale Liberaldemokratische Partei gründete und ihr seither als ewiger Vorsitzender dient. „Da unten“, polterte Schirinowski gleich nach dem ESC-Finale im russischen Staatsfernsehen, „gibt es keine Frauen und Männer mehr, nur noch ein Es. Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas“. Die Sowjetunion, erregte er sich, habe einen kapitalen Fehler gemacht, als sie vor 50 Jahren das besetzte Österreich, die Heimat von Conchita Wurst, in die Unabhängigkeit entließ. „Wir hätten bleiben sollen“.

Niemand widersprach. Schwulenfeindlichkeit gehört zu den ehernen Grundsätzen der Programmpolitik des aus Steuereinnahmen finanzierten Senders. Von Dmitri Kisseljow, Anchorman des politischen Wochenrückblicks, der sonntags zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird, kommen besonders schrille Töne und Verbalinjurien, für die kritische Medien mit Entzug von Sende-oder Drucklizenz wegen Extremismus abgestraft würden.

Zu Hochform lief Kisseljow, seit Ende letzten Jahres auch Chef der Staatsholding für Auslandspropaganda, im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Sotschi auf. Schwulen-, Lesben- und Transgender-Organisationen wollten die offizielle Eröffnungsfeier mit einer Love Parade stören. Angeekelt verzog Kisseljow das feiste Gesicht, sein millimeterkurz geschnittenes Haupthaar sträubte sich vor Empörung. Auch westliche Sympathisanten der Regenbogen-Fraktion bekamen ihr Fett ab, die Suada gegen Ex-Bundeaußenminister Guido Westerwelle würde für eine Zivilklage wegen Beleidigung reichen.

Allerdings nur vor europäischen Gerichten. Das russische Recht dagegen wissen Kisseljow und Co auf ihrer Seite.

Mehrere Regionalparlamente haben in Russland Gesetze "wider die Unzucht" erlassen

Mit Schutz von Minderjährigen begründete die Duma ein Gesetz, das die Propaganda „nichttraditioneller sexueller Orientierung“ untersagt. Darunter fällt auch die öffentliche Selbstdarstellung von Schwulen, Lesben und Transvestiten. Zuwiderhandlungen werden mit empfindlichen Geldbußen geahndet, auch Ausländer werden bei einschlägigen Vergehen auf russischem Territorium vor Gericht gezerrt. Pop-Diva Madonna etwa, die sich 2012 bei einem Konzert in St. Petersburg mit der russischen Schwulenszene solidarisierte. Ähnlich unbeliebt bei staatlichen Moralwächtern machte sich Lady Gaga, als sie auf einer russischen Bühne erklärte: „Heute Abend ist das hier mein Haus Russland. Ihr könnt schwul sein in meinem Haus.“ Weil von der singenden Schauspielerin Selena Gomez Ähnliches zu befürchten war, bekam diese gar nicht erst ein Einreisevisum.

Bevor die Lex 2012 in Kraft trat, hatten mehrere Regionalparlamente bereits Gesetze wider die Unzucht erlassen. Darunter die Stadtverordneten von St. Petersburg, der Heimatstadt von Wladimir Putin. Der Autor, Witali Milonow, Mandatsträger der Kremlpartei „Einiges Russland“, hatte sich bei der Begründung auf einen Kronzeugen berufen, der vor 2000 Jahren das Zeitliche segnete: auf den Apostel Paulus, der Sex von Gleichgeschlechtlichen als „widernatürlich“ verurteilt hatte.

Zwar sieht das russische Gesundheitsministerium das anders. Dessen Experten kamen schon 1999 zu der Einsicht, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Auch hatte das postkommunistische Russland den Schwulenparagrafen, für den zu Sowjetzeiten Tausende in Straflagern oder in der geschlossenen Psychiatrie landeten, frühzeitig aus dem Strafgesetzbuch getilgt. Für bloßes Schwulsein muss auch in Putins Russland niemand hinter Gitter. Beim Outing droht ihm jedoch gesellschaftliche Ächtung. Bei einer repräsentativen Umfrage des Lewada-Zentrums – derzeit das einzige unabhängige Meinungsforschungsinstitut in Russland – plädierte die Mehrheit 2013 für eine Zwangsheilung. Erschreckend hoch war auch der Anteil jener, die eine Kastration oder gar die Wiedereinführung der Todesstrafe forderten. Für mehr als die Hälfte war Homosexualität ein Grund, Freundschaften zu kündigen. Auch die Gewaltbereitschaft gegenüber den „Anderen“, gegenüber Fremden, Schwulen, gar oppositionellen „Nestbeschmutzern“ nimmt zu. Allein den Staat, sagen indes sogar Bürgerrechtler, dürfe man für die Intoleranz nicht in den Senkel stellen. Auch der Klerus trüge ein gerütteltes Maß Schuld. In der Tat: Nicht nur die Orthodoxe Kirche, auch die anderen beiden großen Konfessionen Russlands, der Islam und das Judentum, zählen die „nichttraditionelle sexuelle Orientierung“ zu den Todsünden.

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