zum Hauptinhalt

Kultur: Sächsisch-mecklenburgischer Narrenspiegel in Chemnitz uraufgeführt

Geschichte präpariert Christoph Hein in seinem zweiteiligen Lustspiel "Himmel auf Erden" als einen Prozess, der sich von Menschen gelöst hat. Wirkliches, gar Politisches, wie es der Alltag ständig zur Verfügung stellt, fällt in seltsame Fremdheit zurück.

Geschichte präpariert Christoph Hein in seinem zweiteiligen Lustspiel "Himmel auf Erden" als einen Prozess, der sich von Menschen gelöst hat. Wirkliches, gar Politisches, wie es der Alltag ständig zur Verfügung stellt, fällt in seltsame Fremdheit zurück. Beteiligtsein, an welchem Vorgang auch immer, findet nicht mehr statt. Leben ist hinter Glas gebannt, eingefroren. Und selbst Befreiungsversuche enden schal, als gescheitertes Abenteuer. Aber Hein ist nicht zornig, er nimmt seinen Befund ohne Trauer, ohne Betroffenheit zur Kenntnis, bekennt sich zur Banalität als dem Gegebenen. Orte der gespaltenen, abgewehrten Realitätserfahrung sind ein Leipziger Café, "an einem Nachmittag Ende Mai 1968", und eine "Bar in einem norddeutschen Dorf, Gegenwart".

Im Leipziger Café geben zwei angejahrte, vom Pfefferminzlikör befeuerte Witwen den Ton an. Sie kommen vom Friedhof und treffen auf den verdächtig viel wissenden Rentner-Stammgast, den Kellner und einen jungen, unruhigen Aufpasser. Denn draußen sammeln sich junge Leute, besetzen den Platz. Eine Kirche, die vielhundertjährige Universitätskirche der Stadt, soll gesprengt werden. Vielleicht übermorgen. Wollen die Studenten tatsächlich Widerstand leisten? Wasserwerfer fahren auf, der Stasi-Mann, draußen eingreifend, wird pitschnass, die Witwen, schon beängstigend "drüschelig", bestellen unverdrossen die Liköre Nummer elf und zwölf. Auf dem Platz scheint es wieder ruhig, die "Zaungäste" (Titel des ersten Lustspiel-Teils) können gehen.

Zweiter Teil: Gemütliches Sächsisch wandelt sich in ein härteres, männlich selbstbewusstes norddeutsches Idiom. Zimmermann Horst und Maurer Heinz stürmen am Vormittag die Bar "Himmel auf Erden", giepernd nach splitternackter Sinnenfreude. Sie kommen zu früh, sie kommen zu spät. Alles ist vorbei - und hat noch nicht angefangen. Die "Tänzerin", als einzige der Bar-Schönheiten neben der wurstigen Kellnerin zufällig anwesend, kennt Heinz aus der Berufsschule, den Weg von Thailand nach Mecklenburg musste sie also nicht machen. Keine Exotik, nur ein paar bunte Lichter, schnell wieder ausgeknipst. Denn - es gibt kein Programm so früh. Horst und Heinz erfahren: Reklame draußen und Leben drinnen stimmen nicht überein. Der "Himmel auf Erden" bleibt, wieder einmal, ein nicht eingelöstes Versprechen.

Vorhang. Und Ratlosigkeit. Denn auch Melancholie über so viel lähmende Vergeblichkeit, so viel blödsinnige Wurstigkeit in Café und Bar ist dem Text nicht zu entnehmen. Hein will es, trotz der böse erfundenen Geschichten, lustig. Er schildert, so interpretiert er sich selbst, einen Tatbestand und nimmt ihn zur Kenntnis. Mit Heiterkeit, weil Zorn nichts bringt. Und da setzte Tatjana Rese, die Regisseurin der Chemnitzer Uraufführung, an. Sie lädt den Text mit noch mehr Dreistigkeit auf, haut Klamottiges auf die Bühne, dass die Fetzen fliegen. In Eberhard Keienburgs Ausstattung ist alles schief und grellbunt, die Kneipentische stehen auf schiefen Ebenen, die Gesichter stellen bunte Bemalung aus. Ein Höllensturz in den Kitsch. Die Witwen fegen mit ihren Handtaschen herum wie im Boxring, der Stasi-Mann ist eine in alle Richtungen schnellende Gliederpuppe, die sich dreht, windet, fällt, kriecht und dem "Feind" durch die Tür entgegenschnellt. In der Bar stöckeln die Damen mit wackelndem Hintern in die Diagonale oder gleiten auf Inline-Skatern durch den Raum, Maurer und Zimmermann atmen eine beängstigend kindische Biederkeit.

Trotz aller gestischer Tricks und bemüht konstruierter Übertreibungen bringt Tatjana Rese das Lustspiel nicht in Fahrt, findet keinen Rhythmus, verschmäht das Melodiöse der Dialekte. Dass Heins Text nicht doch auch nachdenklich, ruhig, gelassen gelesen werden kann, ist mit der Chemnitzer Aufführung noch längst nicht bewiesen. Vielleicht führt uns der Dramatiker doch an der Nase herum. Seine Geschichten haben doppelten Boden, sie stecken voller Anspielungen, die sich im Dröhnend-Derben nicht entdecken lassen. Schauspielerinnen und Schauspieler (unter ihnen die hinreißende Anne-Elsa Paetzold, der angenehm ruhige Klaus Schleiff) mühten sich redlich, dennoch blieb der Beifall für die Uraufführung flau.Zweite Vorstellung am 23. Oktober, 19.30 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false