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Kultur: Sächsische Hirschkühe bei Sonnenuntergang

Thomas Rosenlöcher huldigt Dresdens Malersohn Ludwig Richter

Eine Bennsche Frage schwebt über Thomas Rosenlöchers Insel-Bändchen, dessen fliederfarbener Umschlag mit Stiefmütterchenkränzen wie ein Poesiealbum anmutet. „Wie weit darfst du dein Ich betreiben, Absonderliches als verbindlich sehn?“, fragt Gottfried Benn in „Verließ das Haus –“ und hakt nach: „Wie weit musst du im Genre bleiben – soweit wie Ludwig Richters Bilder gehn?“

Wie weit darf der bekennende „altlinke Dresdenutopist“ Thomas Rosenlöcher sein erzählerisches Ich betreiben und dennoch dem romantischen Genremaler und Dresdner Akademiedirektor Ludwig Richter, Schöpfer unzähliger Hirschkühe, Sonnenuntergänge und Flussansichten huldigen? Ausgangspunkt für Rosenlöchers heitere Hommage war das Elbhangfest 2003, als zu Richters 200. Geburtstag Szenen aus seinen Bildern wie dem „Brautzug im Frühling“ nachgestellt wurden. „Hallo, Domas!“ wird der Dichter im heimischen Dialekt, dem „Sandsteinsächsisch“, begrüßt, das, „kaum im Mund des Sprechers geformt, sich seinerseits den Sprecher formt“.

Ludwig Richter lag vor allem die biedermeierliche Schilderung des Volkslebens am Herzen, ob während seiner Studienjahre in Italien, oder während der mehr als dreißig Sommer, die er in Loschwitz verbrachte, unter sich der „wie Silber glänzende Elbstrom“. Wie soll da der „Exilhirsch“ Rosenlöcher dem Schreibauftrag einer liebreizenden Vertreterin des Elbhang-Festkomitees nachkommen, ohne selbst in den Verdacht des Idyllikers zu geraten? „Ludwig Richter fehlte mir noch. Gerade wer dauernd das Falsche schrieb, sollte sich wenigstens Richter ersparen. Mann, der Mann hatte Rehe gemalt. Selbst auf dem ‚Brautzug im Frühling’ schauten Rehe vom Waldrand herüber, bei recht geringem Fluchtabstand.“

So ist der Richter-Skeptiker bei einer absurden „Dresdner Kunstausübung“ zu beobachten, um mit einem Buchtitel Rosenlöchers zu sprechen. „Als Gegenreaktion gegen globale Vereinheitlichung ist regionale Resteverwertung gleichzeitig ihr Produkt“, schreibt er. Das fast schon vegetative Bewusstsein von der Zerstörung Dresdens unterscheidet den 1947 Nachgeborenen von jenen Gedächtnislosen, die sich mit dem jetzigen Aussehen der „halb ausgeräumten und damit ja noch zu rettenden“ Stadt abgefunden haben, nachdem die Chancen zum Wiederaufbau über Jahrzehnte verspielt wurden. Die Dresden-Metapher „Tiefgarage mit Frauenkirchenanschluss“ könnte treffender nicht sein. Zeitkritik bedeutet für Rosenlöcher in erster Linie Sprachkritik, denn in der Sprache sucht der milde „Ostalgiker“ Schutz. Schon ein uniformes „Hallo“, das ihm auf dem Elbhang zugerufen wird, interpretiert er als „Gruß und Wurfgeschoss, das den Kurzkontakt mit einer kurzen Attacke verbindet“.

Dieses Buch bestellen Thomas Rosenlöcher: Wie ich in Ludwig Richters Brautzug verschwand. Zwei Dresdner Erzählungen. Insel Verlag, Leipzig. 72 Seiten, 10,80 €.

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