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Säulen nach Athen: Kunstaktion an der Volksbühnenfassade

Dort, wo man sonst zwischen den mächtigen Muschelkalksäulen der Vorderfront Frank Castorfs Bühne betritt, sind fünf zusätzliche Säulen gewachsen.

Die Volksbühne ist geschlossen. Gut, das überrascht nicht wirklich, es haben sich ja alle großen Berliner Theater in die Sommerpause verabschiedet. Das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz macht allerdings nicht nur Ferien – es hat keinen Eingang mehr. Dort, wo man sonst zwischen den mächtigen Muschelkalksäulen der Vorderfront Frank Castorfs Bühne betritt, sind fünf zusätzliche Säulen gewachsen. Täuschend echt sehen sie aus, die hauseigenen Werkstätten haben sie gefertigt, aus Sperrholz, Stahl und Nessel, ganz klassischer Theaterbau. Das Gebäude wirkt nun wie gigantisch vergittert, und der Betrachter steht versteinert davor.

Verantwortlich für diese Fassadenverriegelung ist die Gruppe osa („office for subversive architecture“), ein Zusammenschluss von Architekten mit Sitz unter anderem in Berlin, Wien und London, die sich einen Namen mit hellsichtigen und munter-anarchischen Stadtraum-Interventionen gemacht haben. „Eintritt frei“ ist die temporäre Volksbühnen-Installation von Anja Ohliger, Sebastian Appl und Ulrich Beckefeld, getauft, was nicht bloß den potenziellen Einlasssuchenden verhöhnt, sondern vor allem mit der Verkehrung von Innen und Außen spielt. „Das Theater als Gebäude wird zur Bühne, und die Passanten auf dem Platz davor werden zu Protagonisten eines Stücks“, erläutert Beckefeld beim Richtfest. Die Lesarten sind vielfältig, Handlung und Genre nicht vorherbestimmt.

Beckefeld betont, es ginge der Gruppe nie darum, mit ihren Aktionen eindeutige Aussagen zu treffen, Ziel sei vielmehr, neue Definitionen des Urbanen zu ermöglichen. Entsprechend weite Assoziationsfelder werden auch hier aufgerissen. Man kann die Installation als Rekurs auf Vitruv begreifen, den Säulenheiligen der Architekturgeschichte, oder als Kommentar zum Vorurteil, das sogenannte Avantgarde-Theater sei ja schon immer reichlich hermetisch gewesen. Man kann vor der Volksbühnen-Kulisse die Debatte über das steinerne Berlin beleben, oder über die griechische Staatskrise räsonieren, womit die osa-Leute dann quasi Säulen nach Athen getragen hätten.

Die in der Kunstszene bestens vernetzten Spezialisten für Blickverschiebung besitzen ein Talent fürs Greifbare mit Hintersinn. Unlängst haben sie in London vor den blauen Zaun, der das Olympiagelände vor der Bevölkerung abschottet, eine blaue Treppe gestellt, die den Bürgern die Befriedigung ihrer Schaulust gestattete. „Point of View“ hieß die Drei-Tages-Aktion.

Im Falle von „Eintritt frei“ kam der Auftrag von der Volksbühne, und den möglichen Vorwurf, da würden ja wieder mal Subventionen verpulvert, reflektiert die Installation gleich mit. In Zeiten drohender Theaterschließungen drängt sich angesichts einer verrammelten Bühne die Frage auf, die auch Beckefeld formuliert: „Was wäre, wenn das Theater wirklich zugemacht würde, weil Berlin pleite ist?“ Patrick Wildermann

Dauer der Installation: bis 28. August

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