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Mikro-Manie. Anouk van Dijk in ihrem neuen Stück „Protect Me“. Foto: Esch-Kenkel

© 360-Berlin

Kultur: Sag mal einen Satz ohne Krise

„Protect Me“: Falk Richter und Anouk van Dijk suchen an der Schaubühne Schutz

Jetzt packen wir mal alles zusammen: Finanzkrise, Beziehungskrise, Theaterkrise. Erklären wir der Welt den Krieg und machen uns mal richtig Luft. Aber alle sind müde, ausgelaugt, erschöpft und leer. Kippen leicht um und halten sich nur noch an Mikrofonständern aufrecht. Erste Warnung: Wer eine Allergie gegen Mikros auf der Bühne hat, sollte sich das neue Stück von Falk Richter und Anouk van Dijk in der Schaubühne nicht antun. Es wimmelt von Mikros und Ständern – und fahrigen Selbstdarstellern. Und gleich die zweite Warnung: Hier spricht der Autor über die Schauspieler direkt mit dem Publikum, denn der Text von „Protect Me“ dreht sich im Wesentlichen darum, dass ein Stückeschreiber nach einem Titel sucht – und nach einer Richtung, in die das Ganze gehen soll.

Klingt etwas kompliziert und ist es auch. Fünf Schauspieler und vier Tänzer umkreisen Gefühlszustände und politisch-gesellschaftliche Befindlichkeiten. Das Grundempfinden ist Unsicherheit, Angst, permanente Überforderung. Die Launenhaftigkeit und Unberechenbarkeit der internationalen Finanzmärkte, ihr unersättliches Verlangen nach immer mehr Hilfe und Aufmerksamkeit überträgt sich auf Individuen, die mit all dem Geldkram eigentlich nichts zu tun haben. Doch sie reagieren in ihrem Intimleben – wenn sie denn eines haben – ebenso reizbar wie die sogenannten Märkte. Misstrauen bleibt die Grundstimmung.

So abstrakt, wie das alles ist, wird daraus noch kein Theaterabend. Das weiß Falk Richter, Autor und Regisseur, und deshalb baut er mit seiner künstlerischen Partnerin, der Choreografin Anouk van Dijk, eine Versuchsanordnung auf. Ein bisschen Interaktion zwischen den Akteuren und viele, viele Worte, meist in monologischer Form: Es wird dann schon etwas herauskommen. Wenigstens sollte man eine Ahnung davon bekommen, was es denn ist, das so viele Menschen ängstigt und hilflos und wütend macht. Und warum es keinen Adressaten gibt für diese Wut.

Vor einem Jahr haben Richter und van Dijk in ähnlicher Konstellation mit „Trust“ ein wunderbares Stück inszeniert. Die Themen und Phänomene waren die gleichen (Geld, Liebe, was ist flüchtiger?), der Abend schwebte, es war eine wirkliche Gemeinschaftsarbeit. In „Protect Me“ fallen nun die tänzerischen und die schauspielerischen Teile deutlich auseinander. Die Bewegung wirkt härter – vor allem in den kurzen solistischen Momenten der Anouk van Dijk –, der Ton bitterer, die Texte schwächer und die Musik (Matthias Grübel, Malte Beckenbach) lauter, aggressiver. Kein guter Mix, zumal Falk-Richter-Figuren doch immer sympathisch bleiben, man nimmt ihnen nichts übel, egal wie wild sie sich das Maul zerreißen. Und das ist auch das Grundproblem: Diese 25- bis 40-jährigen Praktikanten und Kreativberufler tun nichts Böses, sie sind nur nicht abendfüllend, sie nerven.

Falk Richter hat ja schon manchen Tschechow inszeniert, daher kennt er das Dilemma: Wie zeigt man langweilige Menschen und ihre immer gleichen Konflikte, ohne dass es eine langweilige Vorstellung wird? Komik und Ironie wären eine Lösung. In der Praktikantenszene bepacken Judith Rosmair, zauberhaft wie immer, und Anouk van Dijk ihr Opfer Luise Wolfram mit immer neuen Stellvertreter- und Kopier-Jobs: Geh zu meinem Massagetermin, triff meinen Ex auf ’nen Kaffee, schlaf mit meinem heimlichen Geliebten – und was es sonst so tun gibt für karrierebewusste junge Frauen. Das ist zwar hart am Rand der Comedy, aber besser als dieses Ernsthaftigkeitssprech: „Ich habe immer noch keinen Titel für dieses Stück ... Aber wer weiß schon am Anfang seiner Arbeit, wo er am Ende ankommen wird ... Wir wissen ja nicht einmal, wie wir in fünf Jahren diese Gesellschaftsform hier nennen sollen, die wir jetzt gerade leben ... Das ändert sich doch jeden Tag.“ Und klingt wie René Pollesch, nur viel langsamer und lieblicher. Rührend die Szene, in der Richters nicht mehr junger Jungdramatiker Kay Bartholomäus Schulze sich von seinem Vater – Erhard Maggraf - fragen lassen muss, warum er nicht etwas Anständiges wie den „Hessischen Landboten“ schreibe, also „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“, warum er nicht wie Georg Büchner sei.

Auch die Familiengeschichte versickert in Andeutungen. „Protect Me“ erinnert in seinem Schutz- und Abschirmbedürfnis an die Kampagne dieses Versicherungsanbieters, dessen Plakate und Werbespots mit gut aussehenden jungen Männern jetzt überall zu sehen sind: Bitte, du große Welt, tu meiner kleinen Seele nicht weh! Wir sind alle Weicheier und Schisshasen, sagt Falk Richter. Will man das hören? Gibt’s vielleicht mal was Neues?

Wieder am heutigen Freitag sowie am 10. und 11. November.

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