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Kultur: Sag mir, wo die Orgeln sind

Roman Krasnovski eilt über die Straße. Er hat sich verspätet, beim Orgelspielen im Berliner Dom die Zeit vergessen.

Roman Krasnovski eilt über die Straße. Er hat sich verspätet, beim Orgelspielen im Berliner Dom die Zeit vergessen. Die Tür des Cafés geht auf, es tritt die israelische Botschaftsrätin ein, noch einen Schritt eiliger als Krasnovski. Kaum hat er den Mantel abgelegt, spricht er bereits von der Orgel im Berliner Dom. Von der vertrackten Pneumatik, von der Verzögerung des Tons nach dem Anschlag. Die Botschaftsrätin versucht, ihm einen Orangensaft zu bestellen. "Nein, nein, nein, nichts!", wehrt er ab. Und erzählt weiter von der Orgel. Ein majestätisches Instrument sei das, aber sich daran zu gewöhnen, brauche viel Zeit. Deswegen die Verspätung.

Es ist Sonntagmorgen, kurz nach zehn, Krasnovski hat bereits zwei Stunden geübt. Jetzt legt er eine kleine Pause fürs Interview ein, nachmittags wird er zurückkehren in den Dom, um weiter zu üben, bis er das Instrument in den Griff bekommt für sein Solo-Konzert bei den Jüdischen Kulturtagen. Dass Krasnovski von Orgeln sprechen will, am liebsten nur von Orgeln, das macht durchaus Sinn. Es dreht sich ja alles um Musik bei ihm. Und doch: Man hätte geglaubt, Krasnovski werde anderes betonen, etwa die Relevanz des Judentums für seine Musik. Das zumindest legt seine Biografie nahe. Als Sohn eines jüdischen Orchestermusikers verbrachte er seine Kindheit in Donzek in der Ukraine. Dass er, wie sein Vater, Musiker werden würde, das stand schon vor seiner Geburt fest. Mit fünf Jahren begann er seine Ausbildung als Pianist, als Jugendlicher wollte ihn der berühmte Komponist Aram Chatchaturjan als Student haben. 1990, mit 35 Jahren, kommt der große Einschnitt: Krasnovski, der inzwischen die Orgel zu seinem Hauptinstrument gemacht hat, wandert mit seiner Familie nach Israel aus.

Die Tücken der Pneumatik

Als Premierminister Jitzhak Rabin 1994 ermordet wird, beginnt er zu komponieren. Sein erstes Werk heißt "Trauer um Jitzhak Rabin", es folgt seine erste Orgelsymphonie, die den Beinamen "Jüdische" trägt. Eine jüdische Symphonie zu komponieren, das sei nichts anderes, als eine italienische zu schreiben, sagt der 46-Jährige. Und die Fragen an den Satzenden, die auf die Stellung der Juden anspielen sollen? Seine Stimme macht einen Oktavsprung nach oben. "Jaaa, das", sagt er gedehnt, als setze er zu einer Arie an, schickt dann aber nur hinterher: "Das passiert zufällig. Nicht geplant". Wenn Krasnovski solche abgehackten Sätze sagt, dann hat er meistens eine Überraschung in petto. Hat er eben noch große Kreise mit seinen Händen gezogen, sitzt er dann plötzlich ganz still.

Wenig später erklärt er knapp: "Ich bin überhaupt kein religiöser Mensch". Er begreife die Religion als wichtigen Teil der Kultur, mache sich die sakralen Elemente der Orgelmusik auch bewusst, aber: "Ich bin - wie sagt man auf deutsch? - ganz zivil". Es sind also keine religiösen Gründe, die Krasnovski dazu animiert haben, jüdische Orgelmusik zu schreiben. Er möchte nur, dass die Worte "jüdisch" und "Orgel" in ihrer Verbindung "nicht mehr komisch klingen".

Man muss dazu wissen, dass die Orgel in der israelischen Kultur noch nicht einmal eine Statistenrolle spielt. "Ich war der erste", sagt Krasnovski. "Nach zwei, drei Monaten kam noch einer. Inzwischen gibt es vielleicht vier oder fünf Organisten im ganzen Land". An einem Mangel an Orgeln liegt das nicht. Auch wenn sie nicht zur Ausstattung von Synagogen gehören, so gibt es in Jerusalem doch immerhin sieben Kirchenorgeln. "Und die sind nicht einmal schlecht", sagt er. Problematisch ist die religiöse Tradition des Instruments, problematisch ist die politische Dimension von Orgel-Konzerten. Gelegentlich tritt Krasnovski in der Erlöserkirche in Alt-Jerusalem auf, früher hat er auch in der Augusta-Victoria-Kirche gespielt. Doch das ist zu gefährlich geworden, denn mittlerweile wird dort geschossen. Zwanzig Meter weiter aber liegt die amerikanische Universität der Mormonen, dort kann er spielen. "Zwanzig Meter, hier kannst du spielen, da nicht. Das ist komisch", sagt er und lacht dabei zweimal auf, so kurz, dass sich der vom Bart umschlossene Mund nicht einmal bewegt.

Die Kunst im Gewalt-Strudel

Jenseits von Jerusalem ist es noch komplizierter. In Nazareth, sagt Krasnovski, gibt es eine gute Orgel, aber dort wollen sie keine Konzerte veranstalten. Die Kunst gerät in Israel so tief in den Strudel der Konflikte, dass selbst das Interview droht, davon mitgerissen zu werden. Die Botschaftsrätin schaltet sich ein: "In einer arabischen Stadt wie Nazareth gibt es kein Konzertpublikum". Er: "Aber Entschuldigung, doch, und in Alt-Jerusalem gibt es auch arabische Menschen, die ins Konzert ..." Sie: "Nein, da gibt es viele Christen, viele Diplomaten, viele Juden". Er, im Hintergrund, kaum zu hören: "In Nazareth gibt es auch viele Christen". Dann springt seine Stimme wieder in die Höhe und er singt: "Nun, also, so ist das".

Israel mag eine hochkomplizierte Angelegenheit sein, für Roman Krasnovski ist es vor allem Gefühlssache. Als er noch in der Ukraine lebte, hielt er das Land schon deshalb für die Erfüllung aller Träume, weil die sowjetische Propaganda das Land fortwährend kritisierte. "Für uns war klar, wenn die sagen, dass etwas schlecht ist, dann muss es ja fantastisch sein". Andererseits, sagt er, fühlte er, dass das Land für Orgelspieler nicht geschaffen ist. Doch auch wenn er nun in Israel nicht mehr als vier Konzerte im Jahr spielt, auch wenn seine Professorenstelle an der Musikhochschule in Jerusalem aus Mangel an Studenten gestrichen wurde: Immerhin konnte er sich inzwischen in Europa als Konzert-Organist einen Namen machen. Bei der Stuttgarter Plattenfirma "Hänssler Classics" hat er drei CDs mit Orgel- und eine mit Klaviermusik veröffentlicht, und die großen deutschen Kirchen, ob Kölner Dom oder Ulmer Münster, hat er mehrfach gefüllt. "Israel", sagt er und beginnt wieder zu singen, "das ist gut. Und das ist schlecht."

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