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Kultur: Sag nie die Wahrheit, dafür sind sie noch nicht reif

Wer hat den Gedanken noch nicht gehabt: Mal einen Abend in Ruhe gelassen werden von der ganzen Scheiße in der Welt. Sich einfach unterhalten lassen ohne schlechtes Gewissen, laut mitsingen, klatschen, wenn es heißt "Berlin ist pleite und das ist gut so".

Wer hat den Gedanken noch nicht gehabt: Mal einen Abend in Ruhe gelassen werden von der ganzen Scheiße in der Welt. Sich einfach unterhalten lassen ohne schlechtes Gewissen, laut mitsingen, klatschen, wenn es heißt "Berlin ist pleite und das ist gut so". Das wäre was. "Pigor und die Pigoretten und der Ulf" geben ihre Premiere in der berstenden Bar Jeder Vernunft. Wie gehabt, begleitet Benedikt Eichhorn am Piano, gibt den romantischen, sich mit Sänger Pigor kabbelnden Pianisten. Da der Abend um die vier attraktiven, blasierten Backgroundsängerinnen Eva, Alice, Anett und Maike aufgebaut ist, nennt sich die Show "Chanson goes Gogo". Der Ulf bedient die Gitarre und die Rechner mit den fetten Beats.

Pigor und Konsorten gelten als die Neuerer des deutschen Chansons, sie haben den Hip-Hop in die Musik integriert, ihre Texte bedienen sich der Alltagssprache: "Wenn dich die Frauen fragen, woran denkst, sag nie die Wahrheit, dafür sind sie noch nicht reif." Das ist natürlich nicht auf Rhythmus geschrieben, Eichhorn hat virtuos und nach Herzenslaune drum herum komponiert; 1999 wurden die Wahlberliner für ihren so genannten Salon Hip-Hop 1999 mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet. Doch aller Lorbeeren zum Trotz: Es ist erstaunlich, in welche Höhen sich Pigor und Eichhorn aufschwingen, um regelmäßig ins Belanglose zu fallen. Interessante Gedanken wie "Fernsehmoderatoren laden Fernsehmoderatoren ein" kontrastieren da mit blöden Songs über kleine dicke Frauen, die "Rammböcke der Supermärkte". Wahrscheinlich bedingen die Abstürze die Höhenflüge. Pigor und Eichhorn sind "Die Ärzte" des Chansons, sie kokettieren feist mit dem Habitus der Pubertierenden und bleiben integer. Dass die Musik, zwischen den Fantastischen Vier und der Ersten Allgemeinen Verunsicherung zu verorten, originell ist; dass der rasante Rhythmus der Show nie ins Stocken gerät; dass alle alle charmant sind, meistens komisch, niemals blödelhaft; dass man ihnen anmerkt, wieviel Freude ihnen das eigene Programm bereitet. Das macht die Show zum empfohlenen Mittel gegen die einsetzende Berliner Winterdepression. Nebenwirkung: Afghanistan etcetera kommt einem plötzlich weit weg vor.

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