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Kultur: Salomé und Nosferatu

Die Galerie Deschler beschwört mit Rainer Fettings Fotografien die achtziger Jahre.

Eine Fahrt über den East River. Das Yellow Cab im Anschnitt, die Queensboro Bridge und die Manhattan-Skyline in rasender Unschärfe. Kein Filmstill aus „Taxi Driver“, sondern Rainer Fetting auf der Flucht. Blickt zurück durch die Kamera, bevor er in den nächsten Flieger nach Deutschland steigt. Das war 1978. Der Maler war als DAAD-Stipendiat in New York. Sehnsuchtsort, genährt von den Filmen Martin Scorseses. Brooklyn, so Fetting, sei damals für Schwule gefährlich gewesen, seine Nerven hätten blank gelegen. Doch selbst die Flucht wird in den Fotografien zum malerischen Motiv.

Die Leidenschaft bleibt, und in den Achtzigern – in deren Mitte den Jungen Wilden der Durchbruch gelang – pendelt er zwischen Berlin und New York, bewohnt ein Penthouse im legendären Christodora House. Noch der 62-Jährige schwärmt: „Das war das richtige Leben, anders als im verschlafenen West-Berlin. Wir stehen ja heute noch an der roten Ampel und warten. In New York lässt man sich durch den Verkehr treiben.“

Dass Fetting nicht warten will, zeigt die Ausstellung, die die Galerie von Marcus Deschler seinen Fotografien widmet. In einem Fries mit großformatigen C-Prints sind Selbstporträts zwischen Trucks montiert. Der Künstler in der U-Bahn, filmstillartig und einmal mehr in der beliebten, malerischen Unschärfe. Eine Karriere als Regisseur schwebt dem jungen Fetting vor oder als Schauspieler. Das Talent hätte in diese Richtung ausschlagen können: In „Selbst und Salomé“ oder „Selbst als Nosferatu“ entpuppt er sich als Verwandlungskünstler.

Der Protagonist der Moritzboys ist bekanntlich Maler geblieben, die Kamera begleitet sein Schaffen wie ein Skizzenblock. So trist und steingrau die „Mauer Zimmerstraße“ 1977 dokumentiert ist, ruft sie unmittelbar die im selben Jahr gemalte „Gelbe Mauer“ in den Sinn. Freunde und Wegbegleiter, Modelle und Musen, die Fetting mit expressivem Duktus über drei Jahrzehnte auf die Leinwand bannt, in den Fotografien versammeln sie sich in den Originalposen. Wer etwas über die Boheme der Mauerstadt und ihre New-York-Connections erfahren will, kommt hier auf seine Kosten (Preise: 1500-25 000 Euro). Auch in dem opulenten Katalog: Über fast 500 Seiten entfalten sich Fettings Leben und Lebensgefühl. Die Queer- und Club-Culture als Bilderbogen mit Nostalgie-Effekt. Salomés zwölfstündige Performance in Berlin, eine Party bei Keith Haring, Markus Lüpertz tanzend im „Exil“, Ben Becker und Blixa Bargeld im „SO 36“.

Die Ausstellung erklärt den Maler zum Chronisten. Fotografisch aber bleibt vieles im Ungefähren; rettet sich ins Blow-up, wo jede Unschärfe ihren Reiz entfaltet. Allein die fotografische Intention fehlt. Er habe letztlich alles intuitiv gemacht, sagt der Künstler, verwehrt sich jedoch gegen den Schnappschuss. Zitiert mal Adolph von Menzel, mal Duchamp. Ob das im Moment des Auslösens eine Rolle gespielt hat, sei dahingestellt, aber, so Fetting: „Irgendwann macht ja jede Kamera schnapp.“ Michaela Nolte

Galerie Marcus Deschler, Auguststr. 61, bis 26. Januar 2013, Di–Sa 12–18 Uhr

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