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© Wild und Team

Salzburg-Intendant Jürgen Flimm: „Ich will wissen, wo die Unvernunft siedelt“

Salzburgs Festspiel-Intendant Jürgen Flimm sprach mit dem Tagesspiegel über Mozarts Pragmatismus, einen Anti-Jedermann und die Kraft der Rockmusik.

Herr Flimm, seit 1987 haben Sie regelmäßig in Salzburg inszeniert und waren hier von 2002 bis 2004 Schauspieldirektor. Welche Erfahrungen bringen Sie in Ihre Intendanz mit, was ist das Besondere an den Festspielen?

Diese Vielfalt an Disziplinen: Theater und Oper, Konzerte und Lesungen. Wunderbar. Innerhalb von fünf Wochen wird hier unglaublich viel entwickelt. Unter Intendant Gérard Mortier habe ich Monteverdis Oper „Poppea“ inszeniert, da merkte man etwas von einem Aufbruch. Der Einfall seines Nachfolgers Peter Ruzicka, verfemte Komponisten zu spielen, hat mir sehr gut gefallen. Aber was kann man daraus lernen? Man kann sich doch nie was abgucken, sondern muss mit sich selbst zurande kommen.

Welche programmatischen Vorstellungen haben Sie für Ihre Intendanz bis 2011?

Manchmal fragt mich ein Schauspieler zu Beginn der Proben: Was ist das für eine Figur? Ich sage dann: Das weiß ich noch nicht. Und am Schluss weiß das Publikum über die Rolle fast besser Bescheid als er, weil es sie sich selbst zusammensetzt. Wenn wir im Jahr 2011 sind, überlegen wir, was da stattgefunden hat. Der Gedanke, man könnte fünf Jahre unter einen programmatischen Hut bringen, ist völlig abwegig.

Um konkreter zu werden: Wie gedenken Sie mit Mozart umzugehen?

Es wird immer wieder neue Mozarts geben, das ist ja völlig klar. Salzburg und Richard Strauss ist auch ein Thema. Und die moderne Musik wird sicher mehr gespielt werden als bisher.

Haben Sie bestimmte ästhetische Vorstellungen, was die künstlerische Ausrichtung Ihres Programms betrifft?

Ich führe ja keinen Kaufladen. Wollen wir ein Ästhetikseminar aufmachen?

Haben Sie denn Wünsche, was die Zusammenarbeit mit Regisseuren betrifft?

Ja, ganz intensiv. Und das hat mit einer ästhetischen Debatte gar nichts zu tun. Ich möchte gerne mit Christof Loy und mit Andrea Breth weiterarbeiten, die gerade „Armida“ respektive „Eugen Onegin“ inszenieren. Auch Claus Guth soll wiederkommen; Falk Richter, der gerade den „Freischütz“ probiert. Jossi Wieler wird inszenieren, die Engländerin Katie Mitchell fände ich ganz toll, mit Willy Decker würde ich gerne arbeiten, mit Martin Kušej sowieso und anderen, wie Philipp Stölzl.

Gibt es Werke, die Sie unbedingt zeigen wollen?

In diesem Jahr ist Haydns „Armida“ zu sehen. Man fragt sich: Warum wurde bis jetzt hier kaum Haydn gespielt? Was ist mit Rossini, was ist mit Gluck?

Wieso steht Ihre erste Saison unter dem Motto „Die Nachtseite der Vernunft“?

Ruzicka hat im Mozart-Jahr 2006 alle 22 Mozart-Opern zur Aufführung gebracht. Darauf wollten wir reagieren. In den Mozart-Opern heißt es doch am Ende immer: Das kriegen wir alles prima hin, wir haben gelernt, und jetzt lassen wir mal die Vernunft regieren. In „Così fan tutte“ wird das direkt ausgesprochen.

Die musikalische Vorbereitung des „Così“-Finales ist aber nicht ganz so eindeutig. Die Paare der Verwechslung sind einander musikalisch näher als jene der Grundkonstellation – ein fragwürdiges Happy End.

Natürlich ist das Finale nicht so fröhlich. Aber es wird gesungen: „Fortunato!“ Und darauf wollten wir reagieren und gucken, wo die Unvernunft siedelt. Da kommt man schnell auf das Stück der Unvernunft an sich, den „Freischütz“. Da wird ja in die deutsche Seele heißes Blei hineingeschüttet. Es geht um die Rückkehr der Dämonen, die die Aufklärung vergeblich versucht hat, uns auszutreiben. In der Romantik kommt das mit aller Macht zurück.

Meinen Sie damit auch den Dämon Politik? Haydns „Armida“ dreht sich ja um den Konflikt zwischen Orient und Okzident.

Ja, absolut. Wir haben auch Daniel Barenboim mit seinem „West-Eastern Divan Orchestra“ eingeladen, um hier drei Wochen zu arbeiten. Die starke Botschaft dieses Orchesters ist vielleicht eine Antwort auf diesen unvernünftigen Krieg: Die Kunst kann anderes als die Politiker. Und deshalb ziehe ich den Hut vor diesen jungen Musikern aus Israel, Palästina, Libyen, Ägypten, dem Iran: dass sie immer wieder in der Lage sind, gemeinsam zu arbeiten. Das zeigt, dass es mit großer Anstrengung vielleicht einmal zu einem gemeinsamen Ton kommen könnte.

Nikolaus Harnoncourt war prägend in der Ära Ruzicka. Möchten Sie einem Dirigenten ähnliches Gewicht geben?

Das weiß ich nicht. Vielleicht wird der prägende Mann hier Muti. Oder Barenboim. Oder es gibt die Vielfalt wie bei den Wiener Philharmonikern.

Noch sind Sie gleichzeitig Intendant der Ruhrtriennale. Wie kommen Sie zurande mit dieser Doppelbelastung?

Die Doppelbelastung ist nicht so schlimm. Es gibt Minister, die haben drei Ressorts. Natürlich hat man überall gute Leute, die das Programm ausführen.

Sie haben für Hector Berlioz’ „Benvenuto Cellini“ einen 39-jährigen Berliner Videoclip-Regisseur engagiert, der kaum Opernerfahrung besitzt. Ist das nicht ein Risiko?

Darüber reden wir nach der Premiere. Philipp Stölzl ist ja ein gelernter Theatermann. Er hat viele Bühnenbilder und brillante Videos gemacht, für die Stones, für Madonna, für Westernhagen – und Opern inszeniert. Ob er genug Erfahrung hat, das müssen Sie die Sänger fragen.

Oder den riesigen Chor ...

Ja, fragen Sie! Philipp hat alle 120 Namen des Chors auswendig gelernt!

Sie zeigen erstmals Thomas Bernhards „Ein Fest für Boris“, eine Art „Anti-Jedermann“. Gibt es Ideen zu einer Neufassung des „Jedermann“ auf dem Domplatz?

Nein. Mein Schauspielleiter Thomas Oberender hat ja klugerweise Christian Stückl eingeladen, seine fünf Jahre alte Inszenierung zu restaurieren.

Salzburg lebt ja von einem zahlungskräftigen Publikum, dem das gesellschaftliche Ereignis sehr wichtig ist. Muss man da Konzessionen machen?

Wie sähen die denn aus?

Indem man sich für Aufführungen entscheidet, über die das Publikum nicht nachdenken muss. Ein Gegenbeispiel wären Opern neuer Musik, bei denen eine hohe Schwellenangst herrscht.

Das hat aber nichts mit dem Publikum zu tun, sondern mit der Schwäche von uns Produzenten und den Leuten, die das schreiben. Mit Schwäche meine ich, dass uns die Beziehung zu dieser Musik langsam verloren geht. Man muss sich doch nur einmal anschauen, welche hochstehenden kulturellen Leistungen auf dem U-Musik-Sektor gebracht werden, bei den großen Rockkonzerten von Lou Reed, Tom Waits, Bob Dylan oder Laurie Anderson. Da stellt sich die Frage: Wo ist die Musik unserer Zeit?

Stellen Sie wirklich die komponierte Musik infrage?

Nein, niemals. Aber es gibt ein Problem. Ich bin im Gespräch mit vielen Leuten aus der Szene.

Denken Sie an eine starke Öffnung des bisherigen Programms?

Ja, das habe ich immer schon gemacht: in Hamburg am Thalia-Theater, bei der Ruhrtriennale mit David Byrne und Patti Smith. Aber etwas Konkretes kann ich nicht sagen. Wir arbeiten daran.

Haben Sie einen Wunsch zu Beginn Ihrer Intendanz?

Ich hoffe, dass das Publikum neugierig bleibt. Das wäre ein Herzenswunsch.

Das Gespräch führte Christina Kaindl-Hönig.

Jürgen Flimm leitet erstmals die Salzburger Festspiele, die am heutigen Donnerstag eröffnet werden (bis 31.8., Infos: www.salzburgerfestspiele.at). Er war von 2002 bis 2004 Schauspieldirektor der Festspiele und leitete von 2005 bis 2007 die Ruhrtriennale.

Der 1941 in Gießen geborene Arztsohn hatte in Köln Germanistik, Soziologie und Theaterwissenschaften studiert, bevor er seine Regielaufbahn an den Münchner Kammerspielen begann. Er war Intendant des Schauspiels Köln, leitete von 1985 bis 2000 das Hamburger Thalia-Theater und war von 1999 bis 2003 Präsident des Deutschen Bühnenvereins.

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