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Salzburger Festspiele: 120 Seiten Text, 25 Kilo Übergewicht

Thomas Thieme probt an der Berliner Schaubühne einen Molière-Marathon für Salzburg.

Nach Komödie sieht das nicht direkt aus, wie Thomas Thieme sich das Mikro an den Vorderkopf donnert und in einer Mischung aus Rap und wodkaseligem Selbstgespräch „Ich bin ihr verfallen, ich brenne für sie, in meinen Liebesträumen führt sie die Regie“ intoniert. Trapattonis „Ich habe fertig“ ist nichts dagegen.

Der Urheber des Abends, Molière, ist gleichfalls nicht auf den ersten Blick zu erkennen – und bisweilen auch nicht auf den zweiten. Regisseur Luk Perceval hat vier Charakterkomödien aus dessen üppigem Œuvre – „Der Menschenfeind“, „Don Juan“, „Tartuffe“ und „Der Geizige“ – den Autoren Feridun Zaimoglu und Günter Senkel sowie sich selbst zur Bearbeitung vorgelegt, anschließend zu einem vier- bis fünfstündigen Marathon mit Thomas Thieme in sämtlichen Titelrollen zusammengespannt und Molière posthum zum Tragöden geschlagen.

Zwei Wochen vor der Premiere bei den Salzburger Festspielen herrscht beim Durchlauf in der Schaubühne demonstrative Depression auf der Bühne. Dass ein Schauspieler seinem Kollegen mal „Mach dich vom Acker“ oder „Du dreckige, durchgefickte Sau“ zuruft, ist quasi das Höchste der interaktiven Gefühle. In der Regel wird sauber-solipsistisch ins Mikrofon hineinmonologisiert; und dass es dazu auf Katrin Bracks Bühne ständig schneit, hebt auch nicht gerade die Stimmung.

Komisch sind hier bestenfalls Zaimoglus und Senkels Verse; wenn auch nicht in jedem Falle freiwillig. Und an diesem Punkt kommt Thomas Thieme handlungstragend ins Spiel. Wenn Lyrismen wie „Ich bin die Kackwurst im Porzellanbecken, ich hab’ geschissen, als würd’ ich sonst verrecken“ überhaupt etwas von Abgrund bekommen können, dann bei Thieme. Der wirkt immer ganz genau so außer beziehungsweise bei sich, als säße er kurz vor Schankschluss als Letzter am Kneipentresen; hinter sich die hauseigene Billigdekoration, vor sich den achten Klaren und einen neuen unguten Tag.

„Ich weiß nicht, wie ich diese fünf Stunden überstehen werde: Es sind 120 Seiten Text, ich bin 58 und habe 25 Kilo Übergewicht“, gab der Schauspieler im Vorfeld knackig zu Protokoll. Die Schaubühne, die „Molière“ einen Monat nach der Salzburger Premiere ins Repertoire übernimmt, hat das Bekenntnis zum Zwecke seiner Widerlegung gleich werbewirksam auf ihre Pressemitteilung gedruckt: Konditionelle Schwächen sind Thomas Thieme de facto nicht anzumerken, als er nach dem reichlich vierstündigen Durchlauf, abends um zehn, zum Gespräch erscheint.

Und die Lust an griffigen Statements scheint ihm auch nicht abhanden gekommen: „Ob das nun von Molière ist oder von Zaimoglu oder vom Kaiser von China“, schmettert er die Gretchenfrage nach der zeitgeistigen Bearbeitung sportlich ab, „ist mir, ehrlich gesagt, wurscht. Ich brauche etwas, wo ich das, was mich ausmacht als Schauspieler – nämlich eine verhältnismäßige Unmittelbarkeit – wiederfinde.“ Und da sei Percevals Projekt durchaus identifikationstauglich: „Molière ist zwar ein Autor, der mich seltsamerweise nie erreicht hat – und ich bin ihm auch nicht hinterhergerannt“, erklärt Thieme. Aber wie der Regisseur, mit dem er seit seinem epochalen Auftritt als „Dirty Rich Modderfucker ,Richard III’“ in „Schlachten!“ immer wieder zusammenarbeitet, diese vier zu einer Figur zusammengeschnurrten Titelherren mit der nicht eben glücklichen Biografie des Autors kurzschließt, interessiere ihn sehr. Thieme weiß, wovon er spricht; er hat im Vorfeld mehrere Molière-Biografien gelesen: „In der Vorbereitung bin ich geradezu penibel“, bekennt er. „Ich interessiere mich nur nicht dafür, dass man das auf der Bühne noch merkt.“

Tatsächlich bringt der Schauspieler jenen desillusionierten Männertypus, den das Leben trotz massiver Gegenwehr von des berühmten Gedankens Blässe einfach nicht verschonen wollte, auf einen wunderbar bodenständigen Punkt. Man denke an Percevals Schaubühnen-Inszenierung „Tod eines Handlungsreisenden“, wo er abendfüllend im Feinrippunterhemd auf dem Sofa hockt und die Lebenslüge mit dieser bedrohlich niedrigen Aggressionsschwelle unterfüttert.

„Ich bin ein großer Verehrer dieser Aufführung“, outet sich Thieme denn auch. „Das ist Alltagstheater; früher nannte man das Agitprop, damit müsste man nach Schwedt fahren oder nach Duisburg oder Mecklenburg-Vorpommern, wo diese Probleme wirklich existieren.“ Natürlich, kontert er sich, bevor es allzu blumig wird, geistesgegenwärtig selber aus, „ist das romantisch, was ich hier erzähle; am Ende würde gar keiner kommen in Schwedt oder Cottbus.“ Dennoch: „Früher sind wir in die Fabrik gegangen“, beharrt der Schauspieler, der Anfang der siebziger Jahre die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ besuchte und – bevor er 1984 in den Westen ausreiste – an ostdeutschen Theatern von Görlitz bis Anklam engagiert war. „Dort komme ich her: Wo die Leute dazwischenquatschen, wo sie sagen: ,So isses nich!’“

Thieme gehört zu jenen Zeitgenossen, denen man eine Menge abnimmt. Was er über den Bühnenprofi Thieme sagt, drängt sich jedenfalls auch als privater Gesprächseindruck auf: „Ich bin kein Verwandlungskünstler; das sieht mein Potenzial nicht vor. Da würde ich mich erstens nur lächerlich machen, und zweitens interessieren mich ganz andere Dinge, als die Stimme zu verstellen und so zu tun, als wäre ich nicht Thieme.“ Ambitionierte Konversationsverrenkungen sind seine Sache in der Tat nicht: „Ich mag diese Veredelungsschauspieler nicht, die sich so gerieren – das ist meist aus einer intellektuellen Schwäche geboren“, spricht der „Schauspieler des Jahres 2000“ weise – und schon sind wir beim FC Energie Schaubühne; dem Theater-Fußball-EM-Achten.

Als stolzer Coach darf sich Thieme den Erfolg mit auf die Fahnen schreiben – und entsprechend episch wird auch geschwärmt: „Das ist die beste Berliner Theatermannschaft! Der Szymanski im Tor: Ein sehr guter Junge! Ganz toller Schauspieler!! Dann der Eidinger im Mittelfeld: Sehr guter Fußballer!!!“ Klingt fast so, als hätte Thieme, der sich nach diversen Festengagements in der theatralen Champions League – vom Wiener Burgtheater über die „alte“ Schaubühne bis zum Hamburger Schauspielhaus - fürs freie Arbeiten entschied, in Thomas Ostermeiers Haus eine neue künstlerische Heimat gefunden. Der Schauspieler schüttelt den Kopf: „Meine künstlerische Heimat bin ich selbst.“

Premiere bei den Salzburger Festspielen, 30. Juli, Berliner Premiere an der Schaubühne, 31. August.

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