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Den Beckett spielt er mit. Brandauer bringt das alte Theatertier an die Rampe.

© dpa

Salzburger Festspiele: Das letzte Geschlecht

Peter Stein und Klaus Maria Brandauer geben mit Sophokles’ Endspiel ein kräftiges Lebenszeichen. Ende August kommt der Salzburger Ödipus ans Berliner Ensemble.

Nur das zeitlos Gültige, nicht das Weihelose und Gewöhnliche soll in Salzburg Platz haben, schrieb Hugo von Hofmannsthal den Festspielen, die er vor 90 Jahren mitgegründet hat, ins Stammbuch. Man brauchte das Montagabend bei der Premiere von Sophokles’ „Ödipus auf Kolonos“ mit Klaus Maria Brandauer nicht zu wissen. Doch die Botschaft schien spätestens dann angekommen, als der Chor am Ende des fast dreistündigen Hochamts der Schauspielkunst donnerte: „Denn all das hat volle Gültigkeit.“

Der Regisseur Peter Stein – die schnörkellose Eindeutschung stammt von ihm – ist an den vertrauten Ort zurückgekehrt. Schon in den Neunzigern erfreute er in Salzburg mit texttreuen, stargestützten Klassikern eine bildungsbürgerliche, von der Regie-Postmoderne angeödete Gemeinde, bis ihn Gerard Mortier – in Steins Lesart – vertrieb.

Eigentlich wären Stein und vor allem Brandauer, der Lokalmatador mit Weltgeltung, gern triumphal in die Felsenreitschule im Festspielbezirk eingezogen. Doch darauf konnte und wollte sich Intendant Jürgen Flimm nicht einlassen. Die Arkaden-Freiluftbühne ist, anders als zu Steins Salzburger Zeiten, für das Musiktheater reserviert.

Dass Stein nun mit „Ödipus auf Kolonos“, einer Koproduktion mit dem Berliner Ensemble, draußen in Hallein in der stillgelegten Salinenhalle auf der Perner-Insel gelandet ist, hat aber auch seine Logik und seine Ironie. Den Raum hatte er seinerzeit für die Festspiele gewonnen und als „Schmuddelecke“ für Regie-Jungspunde eingerichtet. Seit damals fährt der Festspielbesucher regelmäßig zum Gruseln dorthin, wenn das deutsche Regietheater wieder einmal einen braven Exzess feiert.

Jetzt aber: eine Weihestunde mit der allerletzten attischen Tragödie, entstanden 407/6 v. Chr. kurz vor Sophokles’ Tod und kurz bevor Athen von den Spartanern unterworfen wurde. Für seinen Abgesang auf Polis und Demokratie kommt der Dramatiker auf seinen „König Ödipus“ zurück. Vatermord und Inzest, dem Heros schon vor der Geburt vom Schicksal zugedacht, waren gestern. In dem Sequel „Ödipus auf Kolonos“ ist für den blinden Greis dreißig Jahre später Erlösung und Entrückung in die Heroenwelt angesagt.

Schauplatz: ein Hain der Eumeniden unweit von Athen, wo Ödipus, geführt von seiner Tochter Antigone, einem Orakelspruch zufolge, ewige Ruhe finden soll. Theseus, dem Herrscher Athens, ist das aus politischem Kalkül recht. Kurz funkt der alte Kreon, Ödipus’ Vertreiber, erfolglos dazwischen. Er hätte den Leichnam, ebenfalls aus politischem Kalkül, gern in der Nähe Thebens – ein anderes Orakel empfahl’s. Und dann kommt noch, eskortiert von Schwester Ismene, der ältere Sohn Polyneikes. Er wurde von seinem Bruder Eteokles aus Theben vertrieben, startet von Argos aus einen Feldzug und möchte dafür den Segen des Vaters. Vergeblich.

Peter Stein und sein Ausstatter Ferdinand Wögerbauer haben den Riesenraum weit aufgerissen, schwarz ausgemalt und mit bläulich schimmernden Platten ausgelegt. In der Mitte ein niedrig ummauertes Geviert, das einen Olivenhain fein säuberlich einschließt. Das ist alles.

Da schiebt sich von links, langsam, leicht gebeugt in fließendem Gewand, das weiße Haar wirr ums Haupt, der Heros des Abends herein: Brandauer. Von der verhärmten Antigone (Katharina Susewind) lässt er sich in die Mitte geleiten. Ein Schauspieler, was sonst. Aus schwarzen Augenhöhlen findet er sofort die Rampe.

Erst nuschelt er ein bisschen, als wolle er gleich klarstellen: Deklamation kriegt ihr von mir nicht. Aber dann pendelt sich sein kortnerhaft singendes Organ ein. Brandauer hat den Raum und das Publikum für den Rest des Abends gepackt. Er spielt König Lear und Hamm aus dem „Endspiel“ gleich mit.

Der Chor der Ältesten von Kolonos scheint es sofort zu wissen: ein König. Der Stuhl, den sie bringen, ist ein Thron. Mit diesem Dutzend Männer hat ein weiterer Star die Bühne betreten. Individuen sind es, jeder anders, skeptische, abwägende Bürger in Rock, Hosenträgern und Hut. Und sie sprechen – ohne Mikroport! – fabelhaft, einzeln vorpreschend, dann wieder im Chor oder summend zum sparsam elektronischen Sound von Arturo Anecchino.

Natürlich sind sie alte Bekannte: aus Steins legendärer Schaubühnen-„Orestie“ aus den Achtzigern. Doch selten wirkte ein Selbstzitat so frisch, so stimmig, ja: so zeitlos gültig. Und es fehlten einem kein bisschen die C&A-Anzüge und die Plastiktüten. Da war die Kostümfrau Moidele Bickel vor.

Und die anderen Schauspieler? Scharf, genau, böse: der kahlköpfige Jürgen Holtz als Kreon im Rollstuhl, ganz in Rot. Aber Katharina Susewind, die Antigone, und Anna Graenzer, die Ismene: das war arg theaterhaftes Barmen, Händeringen, Weinen. Der Theseus des Christian Nickel ganz in blendendem Weiß: Er, der einst Steins junger Faust war, stolziert steif und absolviert seine Stellungen wie vor drei Tagen eingesprungen. Oder ist das feine Ironie? Der arrogante Athener Adel?

Eine Entdeckung dagegen der junge Dejan Bucin als Polyneikes: ein gertenschlanker, drahtiger Krieger. Würgend, tief atmend nimmt er die Verfluchung durch den unerbittlichen Vater entgegen. Keine Nähe, zehn Meter sind zwischen ihnen. Kein Erbarmen für die Sippe: die muss den Fluch weitertragen.

Den Epochenwechsel, den Ödipus’ Entrückung in die Heroenwelt einleitet, hat schon Sophokles plakativ inszeniert: mit Blitz und Donner. Stein macht es mit Hightech: Surround-Krachen aus allen Boxen und Blend-Beschuss aus 100 Scheinwerfern. Darauf geht das graue fahle Saallicht an und bleibt bis zum Ende. Willkommen in der unheroischen, banalen Gegenwart.

Stein selber hat in Interviews ungeniert die Parallelen gezogen. So wie Ödipus der letzte Repräsentant der attischen Tragödie sei, so seien Brandauer und er die letzten Repräsentanten der Theatertradition von Max Reinhardt und Fritz Kortner. Das kann man belächeln. Aber der Salzburger „Ödipus“ zeigt auch: Die Totgesagten leben noch. Und zeigen sich ab dem 25. August im Berliner Ensemble.

Andres Müry

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