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John Eliot Gardiner in Salzburg.

© Salzburger Festspiele/Chris Christodoulou

Salzburger Festspiele: Der Klang der Seele

Keiner kennt die Musik Claudio Monteverdis besser als John Eliot Gardiner. Jetzt hat er in Salzburg die drei überlieferten Opern „Orfeo“, „Ulisse“ und „Poppea“ dirigiert. Die Aufführungen kommen im Herbst nach Berlin.

Manche behaupten, wenn es Claudio Monteverdi nicht gegeben hätte, wäre uns das Gesamtkunstwerk auf dem Grünen Hügel erspart geblieben. Nicht, weil er der Erste war, der sich mit der Möglichkeit eines musikalischen Dramas beschäftigt hat. Sondern wegen seines untrüglichen Gespürs dafür, welche Freiheiten die menschliche Stimme braucht – und welches fein ausgelotete Fundament zu ihrer Entfaltung vonnöten ist. Monteverdi war viel zu interessiert an der menschlichen Psyche, um sich in ein ideologisches Korsett pressen zu lassen. Keine leichte Aufgabe in einer Zeit, da die Abweichung von der harmonischen Norm einer Gotteslästerung gleichkam.
Sicher ist: Ohne Monteverdi würde es keinen Dirigenten John Eliot Gardiner geben. Wenn der 1943 geborene Brite auf seine Karriere zurückblickt, macht er keinen Hehl daraus, wie sehr ihn sein Studium in Cambridge frustriert hat. Wo waren sie nur verborgen, die menschlichen Gefühle und Leidenschaften? Gardiner, von Kind auf von Musik umgeben, fand sie nicht wieder in der Art, wie man etwa bei Abendgottesdiensten musizierte. Und er stellte sich selbst eine Aufgabe, deren Ausgang auch darüber entscheiden sollte, ob er das Zeug zum Berufsmusiker habe. Ausgehend von der englischen Chortradition und ihrer Disziplin erarbeitete er eine Aufführung der Marienvesper, um endlich das zu transportieren, was er „eine hochexplosive Fracht emotionaler Kontraste“ nennt.

Die Energie des Textes

Das Experiment hielt Gardiners strenger Befragung stand. Sein Monteverdi Choir feierte Claudio il divino 1967 zu seinem 400. Geburtstag. Ein halbes Jahrhundert später begibt sich Gardiner mit seinem Chor, den Englisch Baroque Soloists und handverlesenen Solisten, auf eine Reise durch die drei erhaltenden Opern Monteverdis. Eine Expedition, die an seine „Bach Pilgrimage“ erinnert, als er im Jahr 2000 alle geistlichen Kantaten des Thomaskantors in 60 verschiedenen Kirchen aufführte. Jetzt hat er „L’Orfeo“ im Gepäck, uraufgeführt 1607 am Hof von Mantua, ohne Bühne, ohne Theater, dessen Fanfaren die Türen in eine neue Welt öffneten. Und dann die beiden Opern, die Monteverdi in seinem achten Lebensjahrzehnt schrieb, als hochgeachteter Musikchef des Markusdoms, für die knospende venezianische Oper: „Il ritorno d’Ulisse in Patria“ und „L’incoronazione di Poppea“. Akribisch vorbereitet hat Gardiner sein Monteverdi-Projekt mit Workshops, natürlich in Venedig, wo er auch alle drei Opern im Teatro La Fenice aufgeführt hat. Zusammen Madrigale singen, an den Betonungen feilen, die Energie des gesprochenen Textes mit oder gegen den harmonischen Puls lenken. Daran haben er und seine Musikerinnen und Musiker gearbeitet, an jenem offenen Spiel der Vokalstimme über der Basslinie, das einer Improvisation gleicht. Dann sind sie aufgebrochen, mit der halbszenischen Einrichtung der Opern, die Gardiner zusammen mit der Regisseurin Elsa Rooke besorgt hat. Es geht unter anderem nach Luzern, New York, Chicago, Paris und auch nach Berlin, zum Musikfest Anfang September.

Shakespeare der Musik

Bei den Salzburger Festspielen macht Gardiners Monteverdi-Tross in der Felsenreitschule Station, rückt ein paar Podeste und nutzt die Auf- und Abgänge dieses magischen Ortes, seine Arkadengänge. Mehr braucht es nicht, um den „Shakespeare der Musik“, wie Gardiner ihn nennt, zu würdigen. Nichts soll ablenken von den Klangfarben, mit denen Claudio Monteverdi den Platz des Menschen in der Welt ausleuchtet. Requisiten gibt es keine, dafür eine Handvoll einleuchtender Regieideen, wenn etwa Penelope selbst zum Bogen des Ulisse wird, den die Freier spannen müssen. Eine in Standhaftigkeit erstarrte Frau, an der alle Schmeichler kläglich scheitern. Lucile Richardot singt sie mit mühsam beherrschter Urgewalt, mit einer dunklen Tiefe, wie man sie in dieser Rolle noch nie gehört hat. Als ersehnten Partner weist Gardiner ihr mit Furio Zanasi einen Sänger zu, dem 20 Jahre Irrfahrten hörbar zugesetzt, seine Stimme gegerbt haben. Was aber für eine zartmürbe Eloquenz hat dieser Ulisse, welche Einsicht in die Zerbrechlichkeit des Daseins!

Die Summe lebenslanger Begeisterung

John Eliot Gardiner in Salzburg.
John Eliot Gardiner in Salzburg.

© Salzburger Festspiele/Chris Christodoulou

Der 74-jährige Dirigent, der zwischen seinen English Baroque Soloists auf einer Art Barhocker sitzt, zieht die Summe seiner lebenslangen Begeisterung für die Musik Monteverdis. Dafür braucht er keine großen Gesten, seine atemberaubend homogen musizierenden Ensembles stehen auf festem Grund. Nebenbei korrigiert Gardiner auch Interpretationsansätze, die mit Exaltation für Monteverdi einzunehmen suchen. Er betont den natürlichen Fluss der Musik, stellt Klangfarben über bloße Rhetorik, schafft Spielräume für seine Interpreten innerhalb eines stilistisch fein ausgeschliffenen Rahmens.
Mit einer großen Selbstverständlichkeit geht Gardiner das Unerhörte an. Wie sehr ihn das innerlich bewegt, zeigt sich etwa gegen Ende des „Ulisse“, wenn Himmels- und Meereschor das Universum sanft, aber bestimmt umschließen: „Bete, Sterblicher; selbst ein gekränkter Gott zeigt sich, wenn man zu ihm betet, nachsichtig!“ Und etwas schwebt über dem gewaltigen Rund der Felsenreitschule.

Unverbrüchliche Neugier und Zuneigung

Demut ist, was Monteverdis Opern lehren, in denen Amor Sieger bleibt, auch wenn den Menschen der Preis dafür hoch erscheinen mag. Doch der Komponist bleibt an der Seite seiner Geschöpfe, er begegnet selbst den moralisch zweifelhaften unter ihnen mit unverbrüchlicher Neugier und Zuneigung. Nur so kann man verstehen, warum der zum Priester geweihte Markuskapellmeister am Ende seines Lebens ausgerechnet Nero und Poppea an sein klingendes Firmament versetzt, einen mörderischen Kaiser und eine ehrgeizige Hure, in unstillbarer Lust füreinander entbrannt, einer Lust, die anderen Tod und Vertreibung bringt. Gardiner gelingt es, auch für Monteverdis letzte Oper eine Besetzung zu komponieren, die neu hinhören lässt. Mit der Figur des Nero übernahm zum ersten Mal ein Soprankastrat die männliche Hauptrolle auf Venedigs Opernbühnen. Aus diesem historischen Fakt heute sinnliches Musiktheater zu machen, ist eine Kunst, die Sir John Eliot beherrscht wie kaum ein anderer. Der fein wie ein Instrument gezeichnete Countertenor von Kangmin Justin Kim droht immer wieder überdeckt zu werden vom sonoren Bass, mit dem Gianluca Buratto den lästigen Ratgeber Seneca rüstet. Auch der mächtige Mezzo von Marianna Pizzolato als ungeliebter Kaiserin Ottavia erdrückt das Herrscherorgan. Neros rücksichtslose Befreiung erscheint als musikalische Notwendigkeit, zumal bei Hana Blazikovas Poppea harmonische Verschmelzung lockt. Die strenge Musikwissenschaft weist darauf hin, dass das letzte Duett von Nero und Poppea gar nicht aus der Feder Monteverdis stammt, jenes hypnotische „Pur ti miro“, mit dem die äußere Welt versinkt. Doch es weiß sich im Einklang mit dem großen Seelenmusiker und erwächst dem gleichen musikdramatischen Keim wie das Finale von „Ulisse“: zwei Stimmen, die um „Cor“ und „Vita“ kreisen. Und am Ende „si“ sagen, allem zu Trotz. Und noch einmal: „si“.

Gardiners Monteverdi beim Musikfest Berlin: Orfeo (2.9.), Ulisse (3.9.) und Poppea (5.9.), jeweils 19 Uhr, Philharmonie

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