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Alles glitzert. Szene aus Hermanis’ Inszenierung, im Hintergrund der Bariton Tomasz Konieczny als Jupiter.

© AFP/ Barbara Gindl

Salzburger Festspiele: Die reine Leere

Der umstrittene Regisseur Alvis Hermanis und der Dirigent Franz Welser-Möst bringen bei den Salzburger Festspielen Richard Strauss’ „Die Liebe der Danae“ heraus: Sie wollen das Abendland retten.

Wenige Tage erst währt das Festival an der Salzach, da steuern die Salzburger Festspiele schon ihrem Höhepunkt entgegen. Mit einem Werk, das auch in die eigene Geschichte führt, und mit einem Team, das sich schon vor der Premiere als Speerspitze der konservativen Kulturverteidiger in Stellung brachte. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass mit Richard Strauss’ „Die Liebe der Danae“ in diesem Sommer das Abendland gerettet wird.

In Trümmer gefallen war das Abendland, nachdem der hochbetagte Komponist diese seine vorletzte Oper fertiggestellt hatte und an eine Premiere vorerst nicht zu denken war. Bei den Salzburger Festspielen 1944 sollt sie schließlich stattfinden, aber das Festival wurde nach dem missglückten Hitler-Attentat vom 20. Juli abgesagt. Strauss, der berühmteste deutsche Komponist seiner Zeit, war von der Nazi-Führung längst nicht mehr wohlgelitten, sie untersagte ihren Oberen, mit dem Musiker zu verkehren. Dennoch blieben Bewunderer, die ihre Hand über ihn hielten, auch über seine jüdische Schwiegertochter und die geliebten Enkel.

So öffneten sich selbst offiziell geschlossene Theater noch ein letztes Mal für Strauss: Am 16. August 1944 konnte er in einer als Generalprobe getarnten Vorstellung „Die Liebe der Danae“ in Salzburg hören und sehen. Danach verabschiedete sich der Komponist von den Wiener Philharmonikern in der Hoffnung, man würde sich „in einer besseren Welt“ wiedersehen. Insgeheim hoffte Strauss wohl darauf, schleunigst dahin abberufen zu werden, wo Mozart schon auf ihn wartete. Doch er wurde Zeuge davon, wie nicht nur noch mehr Theater geschlossen, sondern alsbald zu Schutt und Asche gebombt wurden.

Hermanis sagte eine Hamburger Inszenierung ab, weil er die Willkommenskultur für falsch hält

Als Mitbegründer der Salzburger Festspiel-Idee hatte Strauss sich damit beschäftigt, wie Europa nach dem Ersten Weltkrieg geistig wieder aufzurichten sei. Für den greisen Komponisten ist klar, beim nächsten noch tiefer gehenden Neuanfang würde er keine Rolle mehr spielen. Seine „Die Liebe der Danae“, von ihrem Schöpfer als „Heitere Mythologie“ bezeichnet, durchzieht eine gewaltige Trauer, die gar nicht zu ihrem behaupteten robusten Humor passen will. In der Rolle des Jupiter komponiert Strauss unüberhörbar seinen eigenen Abschied von der Lebensbühne, den nicht einmal das Segnen wahrer Liebe versöhnlicher gestalten kann. Ein Gott, der verzichtet, bleibt ein unüberbrückbarer Kulturbruch, auch wenn man sich dafür hilfesuchend auf Wagners Wotan als Vorbild stützt.

Krassimira Stoyanova als Danae und Gerhard Siegel als Midas in der "Liebe der Danae".
Krassimira Stoyanova als Danae und Gerhard Siegel als Midas in der "Liebe der Danae".

© AFP/Barbara Gindl

Obwohl sich Strauss mit dem „Danae“Sujet scheinbar in die innere Emigration begibt, steckt das Werk voller biografischer und zeitgeschichtlicher Verweise, die sich für eine Inszenierung anbieten, auch ohne Teufelkommraus. Derlei Ansinnen hat Regisseur Alvis Hermanis von sich gewiesen. Er will dem Werk vielmehr eine „Chance als orientalisches Märchen“ eröffnen. Man merkt dem lettischen Regisseur noch die Wunde an, die ihm die Auseinandersetzung um eine von ihm abgesagte Produktion am Hamburger Thalia Theater gerissen hat. Hermanis wollte nicht mitmachen bei einem in seinen Augen falschen Willkommens-Theater mit Flüchtlingen, der Intendant zerrte Hermanis’ Begründung ins Licht der Öffentlichkeit. Es setzte ein, was der Regisseur eine „Propagandamaschinerie“ nennt. Die Deutschen, so der Regisseur, seien weder in der Lage, „ihre Frauen auf den Straßen zu beschützen, noch fähig, ihr kulturelles Erbe zu bewahren“. Gekränkt räumt er nun mit dem Mythos auf, es gebe nur linke Künstler. Er sei „konservativ und stolz darauf“, verkündet Hermanis.

Darin weiß er sich einig mit dem Dirigenten Franz Welser-Möst. Gemeinsam geben sie eine Tonlage vor, die wohlfeil klingt und dennoch schrill ins Ohr geht: Wir dürfen unsere Kultur nicht wegwerfen. Was die beiden damit meinen könnten, wird umso nebulöser, wenn man das Ergebnis ihrer künstlerischen Bemühungen im Großen Festspielhaus betrachtet.

Hermanis präsentiert eine kalte Fantasie vom Orient

Hermanis, der auch als sein eigener Bühnenbildner auftritt, hat der gewaltigen Bühne auf ganzer Breite eine gekachelte Oberflächenversiegelung verpasst. Darauf projiziert er Ornamente für seine kalte Fantasie vom Orient: Teppiche werden geschichtet, Damen im hautengen Golddress liefern Körperarabesken für den Hintergrund, Herren mit gigantischen Turbanen machen ihre Aufwartung. Die glitzernden Kostüme zielen auf emotionale Blendung.

Vollkommen statuarisch bewegen sich die Figuren auf dieser wie mit Geschenkpapier ausgeschlagenen Bühne. Wenn man es nicht anders wissen würde, hielte man Hermanis für einen bloßen Raumvollsteller, den keinerlei Regung zwischen den Protagonisten interessiert. Was an individueller Gestik übrig bleibt, ist hilflos, wie abgerutscht bei der Erzeugung möglichst einwandfreier Töne. Der zornige Regisseur kassiert alles ein, was Ansatzpunkt für eine Interpretation sein oder Assoziationen wecken könnte. Mit hunderten knallbunter Kostüme fordert er die absolute Kontrolle über die Lesart zurück – um dann nichts zu sagen. Diese „Danae“ erzeugt die reine Leere.

Auch dem Orchester unter Franz Welster-Möst fehlt Wärme, menschliche Nähe

Würde das nicht so aufreizend, so demonstrativ teuer und penibel vorgeführt, man könnte vielleicht darüber hinwegsehen. Und sich einreden, dass es allein schon ein Gewinn ist, diesen selten gespielten Strauss von einem Luxusklangkörper gespielt zu hören. Doch auch hier ist alles verpanzert, auch hier will Deutungshoheit verteidigt werden, koste es, was es wolle. Was hat Franz Welser -Möst, nach dem Tod von Nikolaus Harnoncourt unangefochten der erste Dirigent im Alpenstaat, zuvor von den Proben getönt: wie viel die Wiener Philharmoniker üben mussten für dieses schwere Stück und was man alles erreicht habe zusammen. Das Resultat am Premierenabend lässt einen an den eigenen Ohren zweifeln. Kein frei fließender Atem, stattdessen eine gestauchte Mitte, durch die weder andere Orchesterstimmen noch die Sänger hindurchdringen. Mattigkeit und Starrköpfigkeit stützen einander in Missvergnügen, vor allem aber fehlt wie bei der Regie jegliches Interesse an Wärme, an menschlicher Nähe.

Krassimira Stoyanova als Danae in Alvis Hermanis' Salzburger Inszenierung der späten Richard-Strauss-Oper.
Krassimira Stoyanova als Danae in Alvis Hermanis' Salzburger Inszenierung der späten Richard-Strauss-Oper.

© Forster/Salzburger Festspiele/dpa

Wie soll man da verstehen, was sich zuträgt in dieser Oper, jene seltsame Wandlung der keuschen Prinzessin von einer goldbesessenen Unnahbaren hin zu einer liebenden Frau, die den Gott in für ihn unbekannte Schranken weist und ein Leben in Liebe und Armut der mythischen Verklärung vorzieht. Davon sieht und hört man nichts, wie auch die allgegenwärtige Traurigkeit von Strauss’ Musik unerlöst bleibt, wie ein Fremdkörper inmitten einer kalten Opulenz, eine Knospe, die sich nicht öffnen will, auch wenn die Pflanze dabei zu Tode kommt.

Selbst die gefeierte Strauss-Interpretin Krassimira Stoyanova wird blass

Dem grausamen Trotz des „Danae“-Teams sind letztlich auch die Solisten dieses Salzburger-Festspiel-Abends erlegen. Zum einen bringen sie sich alleingelassen mit erbarmungswürdigen Gesten an den Rand des Bühnenselbstmords, zum anderen werden ihre trefflich besetzten Stimmen in den kühlen Orchesterwellen systematisch aufgelöst, ja ausgelöscht. Mit versagenden Kräften taumeln sowohl der tapfere Tomasz Konieczny als Jupiter als auch der um Schmelz bemühte Gerhard Siegel als Midas ins Finale. Selbst die Danae der in Salzburg als Strauss-Interpretin gefeierten Krassimira Stoyanova wird blass, wo sie doch ganz erfüllt sein sollte.

Das Musikwunder Strauss bleibt aus, nicht weil „Die Liebe der Danae“ beileibe nicht zu den besten Werken des Komponisten gehört. Es bleibt aus, weil die verborgenen Stärken keinerlei Beachtung finden und die offensichtlichen vor lauter Überheblichkeit verschenkt werden.

Wer jedoch davon tönt, unsere Kultur zu verteidigen, muss sich auf das einlassen, was sie ist. Kein Wunschkonzert. Voller Wiedersprüche. Um Nähe ringend. Oder wie Jupiter es zu seinem Abschied fasst: „Menschenliebe: Göttergeschenk! Menschenliebe: Gefahr dem Gotte!“

Weitere Vorstellungen am 5., 8., 12. und 15. August. Informationen: www.salzburgfestival.at

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