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Kultur: Salzburger Festspiele: Martin Kusej inszeniert Shakespeares "Hamlet"

Wer glaubt, Sommertheater sei ein heiter-bukolischer Saisonausklang oder ein erholsames Intermezzo an lieblichen Orten, der hat sich geschnitten. Das war auch nie so.

Wer glaubt, Sommertheater sei ein heiter-bukolischer Saisonausklang oder ein erholsames Intermezzo an lieblichen Orten, der hat sich geschnitten. Das war auch nie so. Sommerzeit ist im Theater Sterbezeit. In Bayreuth verdämmern die Götter, in Bregenz steht ein riesenhafter Knochenmann im Bodensee, und Salzburgs "Jedermann" läutet von jeher die Totenglocke.

Und: Reden wir nicht von Hannover. Schweigen wir von Goethe, "Faust" und Peter Stein! Reden wir von Shakespeare. Salzburg hat einen neuen "Hamlet". Auf der Halleiner Perner-Insel, dort, wo im vergangenen Jahr die "Schlachten!" ihren schaurigen Triumphzug begannen, exekutiert der Regisseur Martin Kusej das berühmteste Stück der Welt. Nur dass die Tragödie hier eigentlich "Yorick" heißen müsste. Kusej hat diese Figur erfunden, zusammengezogen aus dem Shakespearschen Personal. Yorick ist hier der "Erste Schauspieler" aus der fahrenden Truppe, die Hamlet für seinen Rachefeldzug engagiert. Yorick - der Name stammt von jenem königlichen Spaßmacher, mit dessen Totenschädel Prinz Hamlet in der Totengräberszene Zwiesprache hält. Und der neue Yoreck, brillant gespielt von Werner Wölbern, übernimmt hier schließlich auch noch den Geist von Hamlets Vater. Eine Vielzweckwaffe. Höhepunkt des viereinhalbstündigen Abends: Wölberns Playback-Pantomime-Parforceritt durch die zeitgenössische Mythologie, von James Bond zu "Apocalypse now", von Porno-Dialogen zu "Spiel mir das Lied vom Tod".

"Schauspieler sind der Brennspiegel und die abgekürzte Chronik der Zeit" - Yoricks Satz nach der Shakespeare-Übersetzung von Heiner Müller enthüllt die ganze Ambivalenz dieses "Hamlet"-Versuchs.

Kusejs Konzept ist schlau, aber nicht klug. Dieser Yorick stiehlt Hamlet die Schau, ist sein dominierender Zwillingsbruder, frisst sich tief in die Hauptrolle hinein. Damit scheint auch gleich die uralte Frage erledigt, ob Hamlet verrückt ist oder nur verrückt spielt. Samuel Weiss spielt nicht. Er exekutiert. Er ist ein kalter Analytiker. Er leidet nicht, sondern genießt das Chaos. Sein Hamlet stellt Fallen, und dann schlägt er brutal zu. Er hat vieles, nur kein Geheimnis.

Martin Kusej und sein Bühnenbildner Martin Zehetgruber arbeiten wie ein Designerteam. Die Szene ist ein riesiges Gewächshaus, mit beweglichen Bäumchen wie im "Macbeth". Der Hofstaat schießt auf Tontauben, man trägt schulterlanges, strähniges Haar und Anzüge; barbarische Zivilisation, blasierte Dummköpfe. Hamlet, Yorick und die keifende Mutter Gertrud (Renate Jett) haben kahl geschorene Köpfe. Diese Salzburger Coproduktion mit dem Staatstheater Stuttgart scheint glattweg unterspielt - und überarrangiert. Aus Pappkartons ergießt sich Verpackungsmaterial wie Schnee. Kusej und Zehetgruber lieben es, die Bühne vollzumüllen, wie schon bei ihrer Hamburger "Gespenstersonate".

Was aber heißt Schau-Spiel in unserer Zeit? Der grandiose Yorick wirft die Frage auf. Und steht allein. Mit einer zickig-gelangweilten Ophelia (Johanna Wokalek) und einem Fortinbras, der von einer jungen Frau gespielt wird (Judith Engel). Zwischendurch begegnet sie Hamlet wie eine Schicksalsgöttin, wie eine Nike in glänzender Ritterrüstung. Das ist ein schöner Moment. Am Schluss betritt sie das Schlachtfeld im Badeanzug, lacht ungläubig, legt sich in den Müllhaufen - und es erklingt der Walzer "An der schönen blauen Donau".

Kusej ist Österreicher. Und irgendwie scheint dieser Hamlet furchtbar provokant gemeint. Der Prinz holt seinen ödipalen Pimmel raus, und König Claudius stößt und rammelt Gertrud ins Verderben. Mehr Anstrengung als Kunst. Ein Winterstück. Kein Sommermärchen, ums Verrecken nicht.

Rüdiger Schaper

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