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Hirtentochter. Kathleen Morgeneyer als Johanna.

© Arno Declair

Thalheimer inszeniert "Die Jungfrau von Orleans": Schiller im Schnelldurchlauf

Der Theaterregisseur Michael Thalheimer ist bekannt dafür, dass er keine Zeit verliert. Jetzt inszeniert er Schillers "Jungfrau von Orleans" bei den Salzburger Festspielen - alle fünf Akte in gut zwei Stunden. Natürlich ohne Pause.

„Das kriegerische Ross lass uns besteigen, den zarten Leib dem glühend Pfeil der Sonne preiszugeben!“ Der ideale Sinnspruch zum heißesten Tag des Jahres ist dem Rotstift zum Opfer gefallen. Wie so manch anderer Vers auch. Bei 38,6 Grad Außentemperatur bringt Michael Thalheimer, der kühlste Kopf unter den deutschen Regiestars, Schillers „Jungfrau von Orleans“ auf die Bühne des Salzburger Landestheaters. Skelettiert, wie man es von ihm erwartet. 13 der 27 Personen, die der Dichter für seine im Jahre 1801 vollendete „romantische Tragödie“ fordert, sind in Thalheimers Inszenierung gestrichen, und die verbleibenden 14 werden zudem von nur elf Schauspielern dargestellt. Und, auch das geläufig bei Thalheimer, die fünf Akte samt Prolog sind bei ihm in pausenlosen 135 Minuten zu haben.

Eine merkwürdige Stimmung herrscht im Saal. Neugier, Spannung, Konzentration sind sehr wohl zu spüren, und doch ist da ein Widerstand. Denn die 120 Jahre alte Bühne mit ihrem NeorokokoPrunk hat das mitteilungsfreudigste Gestühl der Welt. Jede Bewegung, jedes Vorbeugen, jedes Rucken auf dem Sitz wirkt wie hundertfach verstärkt. Das Holz scheint förmlich mitspielen zu wollen, knackend, knarrend, knarzend. Oder ist das Ohr heute nur besonders sensibel, weil das Auge so wenig zu sehen bekommt?

Mit seinem Bühnenbildner Olaf Altmann hat sich Michael Thalheimer zu einer radikalen Optik entschlossen. Weil er das Stück selber nicht radikalisieren mochte. Schillers Gotteskriegerin wird also nicht etwa aktualisiert, mutiert nicht zur Islamistin mit Sprengstoffgürtel. Sie bleibt eine Jungfrau des Mittelalters, eine 17-jährige Hirtentochter, die ihre Aufträge von ganz oben erhält. Eine Erleuchtete eben. Nur ein Scheinwerfer also schickt seinen Strahl auf die leere Bühne, genau dorthin, wo Kathleen Morgeneyer steht. Wo sie fast die ganze Zeit lang stehen wird, reglos, ein fleischgewordenes Heiligenbildchen, in Unschuldsweiß gekleidet, die Rechte umklammert das langschneidige Schwert, die Handfläche der Linken ist dem Betrachter freundlich zugewandt, segnend, Leben spendend.

Alle anderen Figuren sprechen aus der Finsternis. Es ist eine dunkle Zeit, seit fast hundert Jahren nun wütet schon der Krieg zwischen Franken und Engelländern, wie sie bei Schiller der Blankverse wegen oft heißen, Karl VII. hat kein Geld und keine Hoffnung mehr, will gerade Orléans, seine letzte bedeutende Stadt, drangeben, als die Gottgesandte auftaucht. Wenn sich die anderen Schauspieler dieser Lichtgestalt nähern, dann macht Johanna sie plötzlich sichtbar. Weil ihr Glanz auf sie abstrahlt. Auf die Heerführer, die nach Jahrzehnten des Krieges nur noch im Kasernenton bellen können, auf Andreas Döhlers Grafen Dunois also, auf Henning Vogts Du Chatel und Peter Moltzens Herzog von Burgund. Auf die Königskonkubine Agnes Sorel, die bei Meike Droste eine pragmatisch lebensbejahende Frau ist, ehrlich erschreckt von der Gefühlskälte der mörderischen Jungfrau. Und auf den König selber, der so gerne ein Fürst der Liebe wäre und lieber Socken trägt als Soldatenstiefel. Mit Trippelschritten bewegt sich Christoph Franken zwischen den Kriegern, ein Babyface im Webpelzmantel, dem dennoch Thalheimers Sympathie gehört.

Mit der Jeanne d'Arc, der historischen wie der Theaterfigur, kann der Regisseur dagegen wenig anfangen. Er respektiert ihren Glauben – weil er sich im Gegensatz zum Wissen nicht widerlegen lässt. Aber er hält Abstand. Er stellt seine Titelfigur aus, im abstrakten Nicht-Raum, lässt sie reglos rezitieren in ihrem einsamen Rampenlicht. Nie gestattet sich Kathleen Morgeneyer dabei den hohen Ton, der Schillers Versen innewohnt. Und sie redet mit doppelter Zunge. Da ist die natürliche Mädchenstimme, schüchtern angesichts ihrer hocharistokratischen Gesprächspartner, rhetorisch ungeschult. Und da ist das Donnerwort Mariens, zu deren Sprachrohr, ja, zu deren Megafon sie ungewollt geworden ist. Denn die Muttergottes hat das Organ einer Berliner Hauswartsfrau. Durch Morgeneyers Mund dröhnt sie ihre Botschaften heraus, prollig, patzig und vulgär, als wär’ die irdische Welt ihr Hinterhof.

Eine Ahnung davon, wie Schillers Sprache auch klingen kann, vermittelt Almut Zilcher. Zwei kurze Auftritte als kriegstreiberische Königsmutter Isabeau hat Thalheimer ihr in seiner Strichfassung gelassen. Und plötzlich hat jedes Wort Gewicht und die Sprache ihren Rhythmus. Inmitten allen Gebrülls entsteht Bedeutung, weil Text mehr als Oberflächenklang ist. Zilchers Sätze haben von Silbe zu Silbe einen anderen Schattenwurf, feinste inhaltliche Temperaturwechsel macht sie wahrnehmbar. Verbales Gift, dem Zuhörer ins Herz eingeträufelt.

Wenige Minuten vor Schluss wird Olaf Altmans Bühnenbild dann doch noch sichtbar, in blassgrauem Morgenlicht. Eine Kuppel, kathedralenhaft aufragend, aus großen grauen Platten gefügt, ein sternenloses Himmelsfirmament. Und wieder steht Johanna alleine da. Rußverschmiert das Gesicht, vielfach haben sterbende Soldaten ihr Blut übers Kleid gespuckt, unbefleckt ist nur noch die Silhouette, die sich an der Wand anzeichnet. Ihr Kopf knickt zur Seite, sie zittert, lallt, heult, findet dann wieder zurück zum harten, kalten Ton der Kampfmaschine, spricht tatsächlich die letzten, berühmten Worte: „Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide. Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück – Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude.“ Und endgültig erlischt das Licht über diesem wenig erhellenden Abend.

Die Koproduktion mit dem Deutschen Theater läuft ab 27. September in Berlin.

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