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Welt im Wanken: Golda Schultz als Vitellia lässt sich vom Chor stützen.

© Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Salzburger Festspiele: Der Kosmos der letzten Dinge

Emotional und wuchtig: Die Salzburger Festspiele eröffnen mit Mozarts später Oper „La clemenza di Tito“. Regisseur Peter Sellars und Dirigent Theodor Currentzis werfen dabei alle Konventionen über Bord.

Heuer kann man in Salzburg mit Fug und Recht behaupten, das Festival laufe sich warm. Zur feierlichen Eröffnung fallen Regen und Temperaturen, der Pegel der Salzach schwillt machtvoll. Doch die Festspiele suchen nicht nur eine Betriebstemperatur für 40 Tage mit 195 Veranstaltungen an 15 Orten. Sie trachten danach, mehr zu sein als das größte und internationalste Klassikfestival der Welt, und machen sich Gedanken über die eigene Relevanz. 2020 wolle man 100 Jahre Festspiele feiern und gute Argumente dafür liefern, warum es sie auch in 100 Jahren noch geben müsse, erklärt die Präsidentin Helga Rabl-Stadler. Dabei ist ihr aufgefallen, dass es noch gar kein Museum gibt für die eigene Geschichte.

Natürlich gehört an der Salzach Gesellschaftliches mit zum Festivalklang. Der Höhepunkt dieser Saison ist klar markiert: die Gala-Soiree nach der „Aida“-Premiere am 6. August, Anna Netrebko gibt ihr Debüt in der Titelrolle, Riccardo Muti dirigiert. Danach hält die Königin von Salzburg Hof für den guten Zweck: 750 Euro muss zahlen, wer zu Netrebko über den roten Teppich zum Empfang in großer Robe schreiten will. Der Reinerlös fließt in die Jugendarbeit der Festspiele. Ansonsten halten sich Spekulationen, dass Arnold Schwarzenegger zu seinem 70. vorbeischauen könnte. Fest steht jedenfalls, dass Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen erstmals die Festspiele eröffnet und statt „digitalem Biedermeier“ mehr Empathie fordert in einem Jahr, das erneut Wahlen in die brodelnde Alpenrepublik bringt.

Die Strategien der Macht

Da kommt das Thema der Macht gerade recht, das der neue Intendant Markus Hinterhäuser zum roten Faden der Saison erkoren hat. Ihren Strategien, Zumutungen und Grausamkeiten, aber auch dem Vergeben- und Verzeihenkönnen wollen die Festspiele nachspüren. Den Ton dafür setzt die Eröffnungspremiere mit Mozarts „La clemenza di Tito“. Hinterhäuser hat sich vom Uraufführungsgebot losgesagt, will künftig lieber Werke auf ihre Gültigkeit überprüfen. Für Mozarts letzte Oper verpflichtet er ein Team, das gleich eine völlig neue Version des Werkes schafft. Regisseur Peter Sellars und sein Dirigent Teodor Currentzis wollen zum Kern von Mozarts Denken vorstoßen, eines Sterbenden, dem zur letztgültigen Formulierung einfach die Zeit fehlte. Auch der gerechte Herrscher Tito wird in ihrem Spiel sterben, an den Folgen eines Attentats.

Staunenswert elegant dringen Sellars und Currentzis in den Kosmos der letzten Dinge ein und werfen dafür alles an Konventionen über Bord, was hinderlich klebt. Es erwischt die Rezitative, die Mozart in der Eile seinem Schüler Süßmayr überließ – und mit ihnen auch viel von der Zopfigkeit des etliche Male zuvor vertonten Metastasio-Librettos. Eine Geschichte von adeligem Edelmut, der ein kaum zu entwirrendes Getriebe von Rache und Ränken gar nichts anhaben kann. Auch das Attentat auf Kaiser Tito war für Metastasio nur Theaterkniff, weil es jemanden traf, der zufällig seinen Putz trug. Das alles hat nicht dazu beigetragen, in „La clemenza di Tito“ stets das Meisterwerk zu erkennen und mit Sorgfalt dem zu lauschen, was Mozart unbedingt noch sagen wollte.

Theodor Currentzis: ein zarter Extremist

Welt im Wanken: Golda Schultz als Vitellia lässt sich vom Chor stützen.
Welt im Wanken: Golda Schultz als Vitellia lässt sich vom Chor stützen.

© Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Sellars und Currentzis gehen so weit, dem Meister zu soufflieren, mithilfe seiner eigenen Musik. Dort, wo es um die kollektive Erfahrung von Schmerz, aber auch Grenzen überwindendem Vertrauen geht, erklingen Einschübe der c-Moll-Messe. Wenn man einen Chor mit einer emotionalen Tiefenwirkung auf der Bühne hat, wie die Sängerinnen und Sänger von musicAeterna sie wachrufen, ist das unbedingt ein Gewinn.

Teodor Currentzis ist mit seinem Orchester und Chor aus Perm, 1200 Kilometer östlich von Moskau gelegen, an die Salzach gekommen. Er wird hier abwartend beäugt. Currentzis pflegt sein Bild eines zarten Extremisten, der zwei Tage vor der „Tito“-Premiere schnell noch ein Nachtkonzert in der Kirche von St. Peter gibt. Currentzis und seine Musikerinnen und Musiker liefern in der Felsenreitschule vom allerersten Takt an ein unwiderstehliches Plädoyer fürs Hinhören – wenn das, was die strahlende Macht Titos symbolisieren soll, als Frage intoniert wird, nicht als Affirmation. Das klingt beinahe immer organisch entwickelt und erlangt in den ruhigen Ensembleszenen eine Wucht, der man sich nicht entziehen kann. Dann schwebt ein Geist durch diesen archaischen Theaterraum, den zu beschwören Currentzis beinahe jedes Mittel recht ist. Wobei die, die auf einen Berserker am Pult hoffen, am Ende enttäuscht sein müssen, denn dafür ist einfach zu viel Fingerspitzengefühl im Spiel.

Eine Geschichte von Geflüchteten

Auch Sellars beweist es auf seine Art, etwa bei seiner Besetzung des engsten Tito-Kreises mit Akteuren unterschiedlicher ethnischer Herkunft. Es ist nur einer seiner Wege, Konventionen zu begegnen. Der Regisseur, der in einem Essay unendlich eloquent Mandela und Mozart als Geistesverwandte entdeckt, organisiert das ganze Libretto neu, sodass eine Geschichte von Geflüchteten daraus wird, von Radikalisierung und besinnungsloser Mordlust, kollektiver Trauer und – das ist der Clou – der Stärke von unbeirrbarer, auch im Angesicht des Terrors rational handelnder Humanität. Für Sellars ist sie die Krone unserer Zivilisation. Er reicht stärkenden Balsam, wenn er das öffentliche Gedenken nach Anschlägen wie in Nizza, Paris, Berlin oder Manchester als Zeichen wahrer menschlicher Größe deutet. Das sieht auf dem Riesentableau der Felsenreitschule mitunter nicht ganz glücklich arrangiert aus, was auch an disparatem Darstellervermögen liegt, verfehlt seine emotionale Botschaft aber nicht. Mal sehen, was ankommt, wenn die Inszenierung zur koproduzierenden Deutschen Oper Berlin weiterreist.

Lauschte man nur den Sängern, müsste Mozarts Oper fortan „Sesto“ heißen. In der Figur des späteren Attentäters ringen die Leidenschaften, und die Mezzosopranistin Marianne Crebassa lässt das in jeder Hinsicht zum Ereignis werden. Eine irrlichternde Lichtgestalt, sich verströmend im Hass und Liebe, bis beides eins geworden ist. Festspielgerüchte sagen, dass Crebassa sich der Berliner Staatsoper verpflichtet – eine wunderbare Aussicht.

Golda Schultz ist als Vitellia eine beherzte Intrigantin, der Tito von Russell Thomas, der so viel Hassliebe auf sich zieht, stimmlich nicht immer ganz Herr der Lage und als Darsteller von unbekannten Dämonen bedrängt. Christina Gansch und Jeanine De Bique treffen als Servilia und Annio Herzenstöne. Willard White singt einen in Misstrauen ergrauten Sicherheitschef Publio. Den letzten Ton aber setzt die Maurerische Trauermusik, mit einem Chor, der alle Bitterkeit überwindet.

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