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Der Autor, Jahrgang 1924, auf dem Cover seines bei iUniverse erschienenen autobiografischen Porträtbands "Aspects of My Life".

© iUniverse

Sam Zebba: Orchester des Lebens

Sam Zebba ist Autor, Dirigent, Pianist: ein Jude aus Riga, dessen Leben einer Weltreise ähnelt. Nun hat er eine wunderbare Autobiografie geschrieben - indem er von den Menschen erzählt, denen er in seinem Leben begegnet ist.

Von Caroline Fetscher

Im Alter von neun Jahren kam der Junge aus dem kalten, trüben Riga an der Ostsee an die warme, subtropische Küste des Mittelmeers. Alles dort war neu für Samuel Sebba, nur die Sprache nicht, denn an seiner Schule in Riga war auf Hebräisch unterrichtet worden. Überhaupt hatte die Kindheit Sprachen geschenkt: In Riga sprach man im Elternhaus kurländisches Deutsch, mit Spielkameraden auf der Straße Lettisch, mit den Großeltern Jiddisch, mit anderen Verwandten Russisch, und der erste Klavierlehrer des Jungen war ein Deutscher.

1933 ging diese Welt des Kindes unter. Seine Eltern hatten die Zeichen der Zeit erkannt und die Familie nach Palästina ausgeschifft. Sie gehörte zu dem knappen Drittel der 100 000 Juden Lettlands, das den Holocaust überlebte. Mit dieser Umwälzung begann für Samuel Sebba, der sich später Sam Zebba nennen würde, eine Biografie, die einer staunenswerten Weltreise ähnelt. Er erzählt davon in einem Buch, das er bescheiden „Aspekte meines Lebens“ nennt (Aspects of My Life – Selected Images, Verlag iUniverse, Bloomington 2013). Der Berliner Hanani-Verlag wird es auf Deutsch herausbringen.

Sam Zebba hat gleich mehrere Orchester gegründet

Der 1924 geborene Zebba ist nicht nur Autor, er war auch Dirigent, Pianist und hatte eigene Orchester gegründet. Im Zweiten Weltkrieg diente er in der britischen Armee, in Kalifornien studierte er Theater und Film, drehte einen Dokumentarfilm über Musikinstrumente im brasilianischen Regenwald und arbeitete mit Fred Zinnemann an einem Spielfilm in Belgisch-Kongo. Mit „seinen“ Orchestern war er rings um den Globus unterwegs, ein Meister im Improvisieren und im Entdecken von Talenten, ein Segler, ein heiterer Melancholiker und als seriöser Lebenskünstler, ernsthafter Abenteurer ein überaus seltener Mensch.

Vor etwa drei Jahren fiel mir ein ungewöhnlich schöner Text von Zebba in einem israelischen Online-Magazin auf, das Portrait einer lettisch-israelischen Ärztin. Der Text war, antwortete Zebba auf meine Nachfrage, nur einer aus einer Reihe autobiografischer Skizzen, die gerade entstanden. Zebba gab der Bitte nach, mir jede neue Skizze zuzuschicken. Jede einzelne war eine Überraschung – auf ihre Weise komisch, traurig, verblüffend. Alle sind sie brillant erzählt, in einer angelsächsisch wirkenden Mischung aus Sinn für Details und Lakonie.

Der Kunstgriff dieser Autobiografie ist, dass Zebba sie als Heterobiografie anlegt, als Sammlung erzählter Begegnungen mit anderen. In jeder Skizze geht es um Menschen, die ihn beeinflusst, unterrichtet, beeindruckt, amüsiert, belehrt, verwundert oder berührt haben. Die anderen sind mein Leben, könnte das Leitmotiv heißen, das diese Texte so lesens- und liebenswert macht. Zebba dekoriert sein Erzählen nicht mit Berühmtheiten, sondern erinnert so realistisch reflektiert wie diskret an die anderen in seinem Leben, dessen Basis zweifellos ein gutes, lebensmusikalisches Elternhaus war.

Als Soldat am Suezkanal schrieb Zebba einen Brief an Churchill

Zebbas Porträts widmen sich so unterschiedlichen Menschen wie der umstrittenen israelischen Offizierin Bracha Fuld oder Saleem Aboud, einem hochbegabten israelisch-palästinensischen Pianisten aus Nazareth, den Zebba und seine Kollegen schon als Kind nach Kräften gefördert hatten. Absurd komisch das Porträt jenes Geschäftsmannes auf Tahiti, der dem jungen Regisseur in den frühen 1950ern ein Drehbuch verspricht, das sich auf der Insel als ebenso nichtexistent herausstellt wie die Mittel, es zu realisieren.

Einige Skizzen schildern Situationen, deren Zeuge Zebba fast zufällig wurde: bizarre Szenen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, wo Zebba als Soldat am Suezkanal einen Brief an Churchill schrieb. Oder die Reise mit einer Ost-West-Delegation von Schriftstellern 1969 in Moskau, bei der er Autoren aus beiden Teilen Deutschlands an einen Tisch brachte, zum ersten Mal, wie sie ihm sagten. Zebbas Streifzüge durch fast ein ganzes Jahrhundert voller Zerstörung zeigen in jeder Zeile sein Antidot: ein musikalisches Leben in wachem Interesse am anderen.

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