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Auf dem Trampolin. Die 1965 geborene samische Künstlerin Marja Helander in ihrem Video „Trambo“ (2014).

© Ausstellungskatalog „Sami Contemporary“

Sami in Lappland: Streit unter Europas Ureinwohnern

Jenseits der Rentierromantik: Nördlich des Polarkreises kämpfen die Sami für das Recht auf Selbstbestimmung – und streiten um die Frage, wer dazugehören darf.

Während sie nach den passenden Worten sucht, umfasst Laura den Anhänger ihrer Halskette – ein Silberplättchen mit dem Muster, das sie Jahr für Jahr in die Ohren ihrer Rentierkälber stanzt. „Wir können mit unseren Herden nicht mehr so frei umherziehen wie noch mein Großvater.“ Die junge Frau spricht leise, ihr Blick streift die anderen Tische in der Kneipe „Papana“ in Inari, gelegen im finnischen Teil Lapplands. Sie fühlt sich als Sami, auch wenn ihre Mutter Finnin ist. Nach dem Tod ihres samischen Vaters übernahm sie seine Rentierherde. Über den Zuchtalltag und die üblichen Schlachtquoten kann Laura locker plaudern. Beim Thema Landnutzung wird sie plötzlich ernst.

Mitte März stimmten die Mitglieder des finnischen Parlaments gegen eine Ratifizierung des „ILO 169“, des „Übereinkommens über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern“ der Internationalen Arbeitsorganisation, einer Untergruppe der Vereinten Nationen. Damit ließ die Regierung in Helsinki die Hoffnung der Sami auf rechtsverbindlichen Schutz platzen und verweigerte ihnen die uneingeschränkte Nutzung der eigenen Naturressourcen.

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Kultur indigener Völker wird auch in Berlin intensiv diskutiert. Mit dem Humboldt-Forum, das ins wiederaufgebaute Stadtschloss ziehen wird, rückt sie gewissermaßen ins Zentrum der Stadt. Derzeit gibt es in Berlin in den Nordischen Botschaften einen weiteren Ort für den Blick auf indigene Völker – die Ausstellung „Sami Contemporary“ zeigt zeitgenössische Werke 23 samischer Künstler aus Finnland, Norwegen und Schweden. Die Arbeiten hinterfragen das klischeebehaftete Bild der Sami und ihrer Kultur. Denn nördlich des Polarkreises, wo Europas einzige Ureinwohner leben, gibt es nicht nur Rentierromantik, Kunsthandwerk und unberührte Natur. Es gibt auch handfeste Konflikte: Als Minderheit kämpfen die Sami seit Jahrhunderten für ihr Recht auf Selbstbestimmung und dafür, das von ihnen einst besiedelte Land nutzen zu dürfen.

Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung

Das Nein aus Helsinki zum „ILO 169“ ist ein harter Rückschlag in diesem Kampf zweier so ungleicher Gegner. Es gibt nur 9500 Sami, selbst in Lappland gibt es weniger Sami als Finnen.

Der Streit dreht sich um die Frage, wer sich Sami nennen darf und wer nicht. An welchen Kriterien macht man diese Identität fest? Wo verlaufen die Grenzen und aus welchem Grund? Die Diskussion darum kam zu Beginn der 1990er Jahre ins Rollen, als das samische Parlament seinen ersten Gesetzesentwurf an die finnische Regierung übermittelte. Darin definierten die 21 Mitglieder auch, wer ein Sami ist – denn nur, wer diesen Status besitzt, hat auch das Wahlrecht. Dem 1995 verabschiedeten Gesetz zufolge gilt jemand als Sami, wenn er sich selbst als solcher identifiziert und mindestens einen Eltern- oder Großelternteil hat, dessen Muttersprache Samisch ist. Ein drittes Kriterium besagt, dass auch Nachfahren von Sami, die als „Lappe“ in alten Steuerregistern gelistet wurden, das Recht auf einen offiziellen Sami-Status haben. Und das macht es kompliziert.

„Nicht alle Menschen, die damals als Lappe registriert wurden, waren auch Sami“, erklärt Pekka Sammallahti, emeritierter Professor für samische Sprache und Kultur. Der Begriff „Lappe“ beziehe sich nicht auf die Ethnizität einer Person, sondern auf seinen Beruf. Folglich seien auch Finnen, die in Lappland mit Rentierzucht, Jagen und Fischen ihren Lebensunterhalt verdienten, so genannt worden. Sammallahti gehört zu der Fraktion, die für eine strenge Sami-Definition plädiert und sich damit viele Feinde macht. Allein 2015 bewarben sich 183 Menschen um das samische Wahlrecht. Die Auswahlkommission wies alle Anträge ab.

Wer sich die Debatten auf Facebook zu diesem Identitätskonflikt durchliest, erahnt dessen Komplexität. Was hat mehr Gewicht? Das Zugehörigkeitsgefühl des Einzelnen oder der Anspruch einer Gruppe, ihre Mitglieder auszuwählen? Und wer bestimmt die Kriterien? Sammallahti und andere werfen Nicht-Sami vor, kein ehrliches Interesse an der Erhaltung der samischen Sprache und Kultur zu haben, sondern eine „strategische Identität“ zu verfolgen – um bloß nicht weniger Rechte als die Sami zu haben. Es geht um grundsätzliche Fragen: Wer darf wo eine Hütte bauen, fischen oder mit dem Schneemobil Rentiere hüten? Die „Außenseiter“ wiederum schimpfen über die diskriminierende Politik einer „ethnopolitischen Elite“, die das Volk der Sami und seine Privilegien auf wenige alteingesessene Familien beschränken will.

Wer gehört dazu?

Die Argumente beider Lager speisen sich aus persönlichen Erfahrungen – auch bei Laura: „Die gleichen Mitschüler, die mich in der Grundschule gehänselt haben, weil ich Sami-Tracht trug, behaupten jetzt, selbst Sami zu sein. Und wir werden als Rassisten bezeichnet.“ Über allem schwebt die Angst der Sami vor Entwurzelung. „Wenn jeder den Status eines Sami bekommt, werden wir finnisch“, befürchtet das Parlamentsmitglied Petra Magga-Vars.

Allerdings war die Kultur der Sami noch nie einheitlich. Auch innerhalb der Sami gibt es mehrere Gruppen: Allein in Finnland unterscheidet man zwischen Nord-, Inari- und Skolt-Saami (finnische Schreibweise). „Als Kulturwissenschaftler bin ich skeptisch, was die sogenannte Authentizität von Tradition angeht. Letztlich konstruieren wir diese Tradition bewusst oder unbewusst immer wieder neu“, sagt Michael Rießler, der an der Uni Freiburg zur Kultur der Sami forscht.

Die Frage nach der Identität der Sami wird sich bald drängender denn je stellen. Denn während samische Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg gezwungen wurden, in der Schule Finnisch zu sprechen, gibt es heute dank Sprachrevitalisierungsprogrammen Kinder, die vom Kindergarten an in einer samischen Sprache unterrichtet werden und sie so als Erstsprache erwerben. Und das, obwohl einige keine samischen Eltern haben. „Nach den Regeln des samischen Parlaments wären diese Kinder wahlberechtigt – aber das haut dann auch wieder nicht hin, weil die samische Muttersprache ja eigentlich als ethnisches Kriterium dienen sollte“, sagt Rießler.

So ist das bei der Suche nach dem klaren Umriss von Identität: Je genauer man hinschaut, desto unschärfer wird er.

„Sami Contemporary“, Nordische Botschaften Felleshus, Rauchstr. 1, bis 27. September, Mo bis Fr 10-19, Sa und So 11-16 Uhr, Eintritt frei

Nicole Wehr

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