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Kultur: Sammler und Jäger

Schön böse: Die Berliner Sammlung Scharf-Gerstenberg zeigt Goya, Daumier und Toulouse-Lautrec.

Die Kunststadt Berlin besitzt Glanz und Größe erst durch ihre Sammlungen. Dieser wahre Satz wird ungemein gerne wiederholt, gerade in jüngster Zeit, da die Debatte um die Frage tobt, was aus all den Schätzen künftig wird. Auslöser der Diskussion um die Museumspolitik der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist – natürlich – eine Sammlung, die den Bestand der Nationalgalerie als Geschenk bereichern soll und Platz beansprucht. Im Windschatten aber blieb die Sammlung Scharf-Gerstenberg, eine andere Privatkollektion unter dem Dach der Staatlichen Museen. Ähnlich wie die Sammlung Pietzsch widmet sie sich den Surrealisten, nur ist ihre Leihgabe auf zehn Jahre begrenzt. 2008 erhielt sie für diese vergleichsweise kurze Frist ein eigenes Haus. Nur so ließ sich die drohende Abwanderung verhindern. Das Sammeln von Sammlern, so lautete damals die Losung, hat seinen Preis. Heute würde man wohl anders verhandeln, denn in einem künftigen Museum der Moderne – ob im Gehäuse der Gemäldegalerie oder einem Neubau am Kulturforum – fänden alle ihren Platz im Kontinuum der Kunstgeschichte. Oder sie müssten gehen.

Die ersten vier Jahre des Logements der Sammlung Scharf-Gerstenberg sind bereits verflossen, die Zeit läuft ab. Auch angesichts der laufenden Diskussion um den Masterplan wird umso genauer hingeschaut, wenn sich im Quartier der Kollektion im östlichen Stülerbau, vis-à-vis dem Museum Berggruen, etwas tut. Der Charlottenburger Standort der Stiftung ist zunehmend aus dem Blickfeld geraten, zumal sich die Wiedereröffnung des Museums Berggruen als Erfolgsgarant samt seiner Erweiterung immer weiter hinausgezögert hat: vom Sommer in den Herbst und nun in noch weitere Ferne. Auf der Baustelle herrscht Hochbetrieb, Fragen nach den Gründen für die Verschiebung werden gerne überspielt.

Der Sammlung Scharf-Gerstenberg gibt dies Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf ihre Schätze zu lenken. „Der exzentrische Blick – Goya, Daumier, Toulouse-Lautrec. Hommage an die historische Sammlung Otto Gerstenberg“ lautet der Titel der Ausstellung, mit der das Haus Grundlagenforschung betreibt. Mit Otto Gerstenberg, dem Direktor der Berliner Viktoria-Versicherung und Erfinder der Volksversicherung, beginnt die Geschichte. Der Versicherungsmathematiker kaufte Anfang des 20. Jahrhunderts im großen Stil französische und deutsche Impressionisten, dazu Zeichnungen und Grafiken, so dass seine Sammlung mit 2200 Werken schon bald als eine der bedeutendsten Kollektionen galt. Fotografien aus der Villa im Grunewald zeigen eine Hängung der Bilder dicht an dicht.

Gerstenbergs Tochter Margarethe Scharf versuchte die Kollektion durch den Zweiten Weltkrieg zu bringen. Nicht immer glückhaft, denn etwa die der Nationalgalerie anvertrauten Werke gelangten als Beutekunst nach Russland, wo sie heute in der Eremitage zu bewundern sind, andere gerieten in den Tresoren der Victoria-Versicherung in der Wilhelmstraße in Brand. Auf dem Rest, einem Viertel des ursprünglichen Besitzes, bauten die beiden Enkel ihre Sammlungen auf, setzen eigene Akzente, etwa mit den Surrealisten.

Der Kreis schließt sich mit der Urenkelin Julietta Scharf, die vor 18 Jahren unverhofft auf die Anfänge der Sammlung stieß, als sie in der Garage ihrer Großmutter einen Schrank, gefüllt mit Dokumenten des Patriarchen, entdeckte – Quittungen, Korrespondenzen, Versicherungskarten mit Notizen. Fünf Jahre lang nahm sich ein Forscherteam um Julietta Scharf Zeit, um die historische Sammlung zu rekonstruieren und den heutigen Verbleib der Bilder etwa in der National Gallery in Washington, im Metropolitan Museum in New York, im Prado oder im British Museum zu klären; noch immer gibt es Unsicherheiten. Als Ergebnis aber bleibt ein kiloschwerer, eindrucksvoller Doppelband, der die Person des Gründervaters würdigt, die Geschichte einzelner Werke beleuchtet und ein Sammlungsverzeichnis umfasst.

Die Herausgabe dieses Marksteins war es schließlich, die auch zur Ausstellung animierte – allein aus den überlieferten historischen Beständen, die sich noch heute im Familienbesitz befinden. Nur drei Künstler wählte Kuratorin Kylikki Zacharias aus und macht staunen darüber, welche Fülle sich darin verbirgt; 140 Werke sind insgesamt zu sehen. Goya, Daumier, Toulouse-Lautrec, jeder von ihnen eröffnet eigene Welten, und zugleich lassen sie Überschneidungen zu.

Alle drei Künstler hatten einen scharfen Blick auf ihre Zeit, standen am Rand der Gesellschaft und sparten nicht mit Sozialkritik. So wechseln in ihren Zeichnungen, Radierungen, Lithografien ätzende Kommentare mit einfühlsamen Beobachtungen. Während Goya in den „Caprichos“ Respektspersonen wie Lehrer als Esel porträtiert, karikiert Daumier schlafmützige Richter, und Toulouse-Lautrec führt den Adel als lächerliche Perückenträger vor. Kampf und Prügelszenen gibt es ebenfalls von allen Dreien: Bei Goya spießen sich die Gegner gegenseitig auf, bei Daumier werden sie zum Knäuel, bei Toulouse-Lautrec bleibt nur noch eine Balgerei zweier Clowns im Zirkusrund. Komisch ist das trotzdem nicht. Und doch: Das Sammlerglück besteht darin, dass all diese Blätter noch vorhanden sind. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz muss dieses Glück nur festhalten.

Bis 17. Februar, Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schlossstr. 70; Doppelband (HatjeCantz) 98 €. Eröffnung Freitag 20 Uhr.

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