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Kultur: Samt oder Latex

Skandalon Mode: Düsseldorf feiert die Designerin Vivienne Westwood und das Model Leigh Bowery

Finn steht direkt vor dem Bildschirm. Er schaut der platinblond gefärbten Frau nun schon zum dritten Mal dabei zu, wie sie sich das Gummimieder schnürt, die schwarzen Latexstrümpfe bis über die Oberschenkel zieht und die gummierten Schlüpfer, vorne mit herzförmigem Loch, vom Bügel nimmt. Finn hätte sich das Video auch ein viertes Mal angeschaut, wenn ihn sein Vater nicht mit den Worten „Was guckst du da eigentlich für einen Schweinkram“ zur nächsten Vitrine mit den „Porn-Shirts“ gezerrt hätte. Finn, höchstens drei, ist mit seinen Eltern auf Museumsbesuch im NRW-Forum in Düsseldorf. Dort wird eine Retrospektive der britischen Modedesignerin Vivienne Westwood gezeigt.

Die „Queen of Punk“ ist damit im Museum angekommen. Ihre frühen Arbeiten, mit denen die gelernte Grundschullehrerin aus Derbyshire das Establishment in den siebziger Jahren erst schockieren und dann zum Nachdenken bringen wollte, sind familientauglich geworden. Das mag daran liegen, dass sich hier anhand von Kleidung, Schuhen und jeder Menge Korsagen, Krinolinen und 25 Zentimeter hohen High Heels der gesellschaftliche Wandel der vergangenen dreißig Jahre darstellen lässt – ebenso die Biografie der Designerin. Chronologisch werden die Entwürfe nebeneinander aufgereiht, von ersten bedruckten T-Shirts bis hin zu den perfekt gearbeiteten Kollektionen, die die inzwischen 64-Jährige immer noch im Frühjahr und Herbst in Paris präsentiert.

„Der Anfang war ganz einfach“, sagt Vivienne Westwood heute. 1971 eröffnete sie zusammen mit ihrem damaligen Lebenspartner Malcolm McLaren im Londoner Stadtteil Chelsea den Laden „World’s End“, in dem sie die Empfindlichkeiten der Briten mit wechselnden Inhalten austesteten. Das Publikum reagierte Anfang der Siebziger denn auch erwartungsgemäß – es ließ sich durch Latex, die Darstellung großer Genitalien und zerfetzte Nähte provozieren. Mal produzierte das Duo T-Shirts mit übereinander gedruckten Hakenkreuzen und Kruzifixen und den Ärmeln einer Zwangsjacke, mal gestaltete es Motorradbekleidung mit Reißverschlüssen auf der Innenseite der Oberschenkel um. Da Malcolm McLaren auch Mitbegründer und später Manager der Punkband „Sex Pistols“ war, trug Sänger Johny Rotten quasi als frühes Testimonial die Entwürfe aus „World’s End“. Jetzt hängt das T-Shirt, wegen dessen Aufdruck Westwood und McLaren strafrechtlich verfolgt wurden, als historisches Zeugnis neben der Vitrine mit der „Porn-Kollektion“. Zwei nackte Cowboys, auf Baumwolle gedruckt, brachten ihnen eine Anzeige wegen Unzucht ein, was ihren Rebellenstatus festigte.

„Wenn du das Establishment attackierst, dann fütterst du es.“ Diese Erkenntnis Vivienne Westwoods führte Anfang der Achtziger zu einem scheinbar radikalen Bruch mit ihrer bisherigen Arbeitsweise. Vielleicht war sie es auch einfach müde, die Ideen von Malcolm McLaren auszuführen. Eine eigenständige Modedesignerin wollte sie werden. Also machte sie sich unabhängig und folgte einem simplen Tipp ihres Ex-Partners: „Mach etwas Romantisches. Beschäftige dich mit der Geschichte.“ Und aus der Mode-Anarchistin wurde eine Perfektionistin des Modifizierens von historischen Kostümen. Auch als Professorin an der Berliner Universität der Künste, an der sie 14 Jahre lang Studenten mit strenger Hand unterrichtete, war sie für ihre geradezu fanatische Liebe zur Kostümkunde berüchtigt.

Gern empört sich die Britin, die inzwischen von der Queen zum „Officer of the Order of the British Empire“ geschlagen wurde, über allgemeine Niveaulosigkeit, kulturelle Stagnation und willenlosen Konsum. Ihre Antwort auf die allgegenwärtige Bequemlichkeit von Turnschuhen und Jeans sind Korsagen, die Haltung geben, Taille und Brust formen, High Heels, die dem Gang etwas Trippelndes, Zögerndes verleihen, Krinolinen, die den Körper in schaukelnde Bewegung versetzen. Die moderne Frau, die sich selbstverständlich im Alltag bewegen will, ist ihr schnuppe. Vivienne Westwood will Kleider machen, „die großartig aussehen und es den Trägern ermöglichen, Individualität zu zeigen“. Deshalb bringt sie es immer dann zur größten Meisterschaft, wenn sie mit möglichst viel Material erfinden kann. In Düsseldorf sind eine ganze Reihe üppiger Abendkleider zu sehen, die aus glänzendem Seidentaft gerafft und drapiert sind. Einige der Röcke waren selbst für den Laufsteg zu ausladend.

Was die Ausstellung bei all ihrer Prachtentfaltung fast vergessen lässt: Mode muss trotz aller Inszenierung immer verkäuflich sein. Auch in Vivienne Westwoods Geschäften bleibt oft nur eine zarte Erinnerung an das Laufstegspektakel, und ein wollenes Twinset ist nur durch das Markenzeichen als Westwoodscher Entwurf erkennbar.

Die Selbstinszenierung eines Exzentrikers wie Leigh Bowery ist genau deshalb Welten von dem Modespektakel entfernt. Er bleibt auch jenseits des Laufstegs seiner Rolle treu. Neben der Westwood-Retrospektive sind im NRW-Forum zahlreiche Fotografien von Fergus Greer ausgestellt, die alle nur ein Motiv haben: Leigh Bowery, das berühmteste Model Londons in den Achtzigern.

Der gebürtige Australier war seine eigene gewaltige Projektionsfläche – viel Körpermasse, verteilt auf 2,10 Meter Länge, die es zu gestalten galt. Anfangs trat er in selbst entworfenen Kostümen, mit bizarrem Make-up in Londoner Clubs und Kneipen auf, bis ihn 1988 der Galerist Anthony d’Offay entdeckte und fünf Tage lang im Schaufenster seiner Galerie in wechselnder Maskerade präsentierte. Die Extravaganz des Kostümbildners, Musikers, Designers und Choreografen, der 1994 an Aids starb, war bedingungslos: Mal nähte er sich komplett in beigefarbenen Pannesamt ein – samt eines 30 Zentimeter hohen Plateauschuhs; mal quetschte er seinen Oberkörper mit einem Mieder zu einem weiblichen Busenansatz zusammen und übergoss seinen kahlen Schädel mit leuchtend blauer Farbe, die in klumpigen Schlieren sein Gesicht umrahmte.

Die Figuren, die er darstellte, sind einmalig, keine Zitate. Bowery betrieb keine Travestie, dafür entfernt er sich zu weit von jedem Klischee. Erkennbar ist immer der Drang, sich zu zeigen, die Extreme auszuleben. Dass Leigh Bowery Modeschöpfer wie Alexander McQueen und Vivienne Westwood inspirierte, ist in Düsseldorf nur allzu gut nachzuvollziehen. Was sich Designern am Ende verbietet, weil sie von ihren Kunden abhängen, lebte Bowery einfach aus: Seine Grenzen setzte er sich selbst – niemand sonst.

NRW-Forum Kultur, Düsseldorf, bis 14. Mai. Bowery-Ausstellung bis 12. März

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