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Sanierung: Wie Berlins Staatsoper umzieht

„Wo du hinguckst: nur Bruch!“ Sagt der Hausmeister der Berliner Staatsoper. Damit ist jetzt Schluss. Der Betrieb packt die Koffer, das Haus wird saniert. Aber speist sich künstlerisches Ethos nicht auch aus Scheußlichkeiten?

Mit diesem Prachtexemplar eines Panzerschranks hätte Egon Olsen leichtes Spiel gehabt. Zigarre in den Mundwinkel, Melone in den Nacken und das Stethoskop gezückt. Der Rest, klickklickklick, ist eine Frage des Fingerspitzengefühls (und der Ganovenehre). „Franz Jäger“ hat jemand auf den Tresor gekrakelt, das Trumm ist so ziemlich das Erste, was einem begegnet, wenn man den langen unterirdischen Gang betritt, der vom Intendanz- Gebäude der Berliner Staatsoper hinüber ins Opernhaus führt.

Muffig riecht es hier, es bröckelt, die Farben haben etwas von verblichener Entengrütze, und wo das Wasser so hoch steht, dass Daniel Barenboim und Anna Netrebko sich nasse Füße holen würden, hat man Holzbretter ausgelegt, Farbe druff, fertig. Er habe sich viel geschämt, sagt Heinz Buda und klappert mit seinem Schlüsselbund wie ein Kerkermeister: „Wo du hinguckst: nur Bruch!“ Seit 21 Jahren ist Buda so etwas wie der oberste Hausmeister Unter den Linden. Den Experten, die den Bau bis zur Wiedereröffnung 2013 nun trockenlegen wollen, wünscht er viel Glück. „Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Berlin ist eben auf Sand und in den Sumpf gebaut.

Egon Olsen war das Hirn der „Olsenbande“, die dänische Krimiserie galt in der DDR als Straßenfeger. Jeder kannte Egons Vorliebe für Tresore der Berliner Firma „Franz Jäger“ und seine Sehnsucht nach dem großen Coup. Vor wenigen Wochen erst, im Zuge der Sondierungsmaßnahmen für den bevorstehenden Umzug, hat man die Schlüssel für den Panzerschrank wiedergefunden: Voll mit Eintrittskarten ist er gewesen, die kleinen pelzigen Dinger von früher, 1,05 Ostmark pro Stück (fünf Pfennig „Kulturbeitrag“). Ein Stapel wanderte zum Besucherservice, ein paar Kärtchen wurden so verteilt, das Gros dürfte inzwischen geschreddert sein. Ballast kann sich die Staatsoper künftig weder im Stammhaus noch im Ersatzquartier Schiller Theater leisten. Sentimentalitäten auch nicht.

Prompt sehen die Gegenstände, die neuerdings kleine Schildchen tragen, fast erleichtert aus: „Bergungsmobiliar Unter den Linden“ steht darauf, als wäre Berlins Prachtboulevard gerade einem Erdbeben zum Opfer gefallen. Manches wandert ins Schiller Theater und kehrt 2013 wieder zurück, der große schildchenlose Rest aber, zu dem definitiv auch der „Franz Jäger“-Tresor gehört, wird verschrottet. Endstation Sondermüll.

Am 5. Juni, im Anschluss an die „Staatsoper für alle“-Übertragung von „Eugen Onegin“ auf dem Bebelplatz, steigt im Magazin hinter dem Intendanzgebäude die große finale Kistenparty, mit Disco und allem Drum und Dran. Tags darauf kommen die Möbelpacker. Die Theaterferien werden verkürzt, der Spielbetrieb am fremden Ort muss schließlich geübt werden, am 26. September geht es im Schiller Theater offiziell los, am 3. Oktober ist Eröffnungspremiere, Christoph Schlingensief inszeniert, Barenboim steht am Pult.

Drei Jahre lang wird die Staatsoper im Herzen des alten Westens residieren, einen Steinwurf nur von der Konkurrenz, der Deutschen Oper, entfernt. Der Belegschaft habe das anfangs gar nicht gepasst, berichtet Klaus Grunow, die wollte viel lieber in den Admiralspalast, weil’s „näher, heimischer, mittiger“ gewesen wäre. Grunow ist Personalratsvorsitzender, ein üppiger Typ, der in der Deko-Abteilung angefangen hat und jetzt schon mal Briefe an Klaus Wowereit schreibt. Dass der Regierende Bürgermeister sie im Herbst besucht habe, mit guten Argumenten für den Standort Bismarckstraße und einem offenen Ohr für die Sorgen, habe viel bewirkt. Den Rest schafft Jürgen Flimms ausgebuffte Frohnatur: „Manchmal wollen unsere Leute hier nicht so schnell mitgenommen werden, aber ick hör’ schon raus, die finden den neuen Intendanten jut, der is ’ne echte Lok.“ Grunow streichelt den großen runden Tisch in seinem Büro. Im Schiller Theater wird er auf sein Lieblingsmöbel verzichten müssen, es passt nicht rein.

Dieser Umzug ist eine Nagelprobe: für die Politik, die Theaterleitung, die Künstler, die Techniker, alle. Geht das Publikum aus Schicki-Mitte mit? Taugt die Akustik? Sind die Räumlichkeiten halbwegs groß genug? Und: Lässt sich mit dieser freundlichen Übernahme vielleicht auch das Trauma Schiller Theater endlich lösen? 1993 musste der Senat das Haus schließen, mehr als 40 Jahre lang beherbergte es die Staatlichen Schauspielbühnen. Ein Fanal weit über Berlins Grenzen hinaus, der letzte große Theaterkampf des 20. Jahrhunderts. Und ein politisches Bekenntnis zum Osten, mehr trotzig und gewollt als visionär. Am Ende gewann Frank Castorfs Volksbühne diese Reise nach Jerusalem - wie bald auch die Lindenoper (Ost) von den Subventionen her, Gerhard Schröder sei Dank, besser dastand als die Deutsche Oper (West).

Wenn Daniel Barenboim nun also im Westen Quartier nimmt, dann hat das etwas von umgekehrter Entwicklungshilfe: Der Verhungernde zeigt dem Hungrigen, wie Überleben geht. Seit 1955 behilft sich die Requisite der Staatsoper mit einem einzigen Waschbecken, andere Opernhäuser besitzen ganze Küchen, Teile der alten Wasserhydraulik stammen aus dem Jahr 1926, es gibt weder eine Klimaanlage noch Fahrstühle für Behinderte, die Pilze, die in den Eingeweiden des Gebäudes sprießen, kann man täglich in der Kantine abliefern, die Sichtverhältnisse im Zuschauerraum sind ein Desaster, die sanitären Anlagen ein Gräuel, an den Garderoben stinkt es nach Kohlenmonoxyd aus der Tiefgarage – und trotzdem glänzt dieses Haus. Da wäre es doch gelacht, wenn man in der Diaspora nicht auch das Schiller Theater reanimierte!

Brigitte Kirchberg war noch nie im Schiller Theater, sie wolle sich vorher keine Bauchschmerzen holen, sagt sie. Die Frau von der Poststelle ist gelernte Buchbinderin und seit 1970 an der Staatsoper. Eine kleine dralle Blonde, die mittags nicht essen geht, damit ihre Tür immer offen bleibt. Und damit ihre Tür offen bleibt, hat sie auch die beiden Versammlungen versäumt, die Flimm „drüben“ abgehalten hat, Schillerlocken für alle und andere Süßigkeiten inklusive. Hinter der Poststellenleiterin an der Wand hängt ein LTU-Poster, das ein funkelndes Piloten-Cockpit zeigt, im Regal dösen zwei Buddhas, die Einrichtung ist aus Resopal, der Blick hinaus geht auf einen Schacht, in dem sich der Kantinenmüll türmt. Früher hat Frau Kirchberg Einladungen zum Opernball gefaltet, von Hand und „auf Büttenpapier“, da darf man heutzutage schon ein bisschen Trübsal blasen. Tut sie aber nicht: „Ich murkse jedem ein Lächeln ab. Das macht mir Spaß. Ansonsten kriege ich hier nüscht mit.“

Vielleicht sollte besser alles bleiben, wie es ist. Weil das Ethos eines künstlerischen Betriebs sich nicht zuletzt aus Widerständen speist, aus dem Unguten, Hässlichen, Unzumutbaren. Die Staatsoper wird an der Bismarckstraße schon irgendwie zurechtkommen, das Stammhaus aber könnte man unter eine Glasglocke stellen und zusehen, wie der Zahn der Zeit alles zerlegt: Den ehemaligen Stasi-Bunker, Nummer 0031, in den rumpfdicke Kabelstränge aus sämtlichen Abteilungen des Hauses mündeten; den Defa-Raum und den sogenannten Meyerbeer-Salon hinter der Intendantenloge (früher Wilhelm-Pieck-Zimmer), der heute für VIP- Anlässe genutzt wird; den Kronenraum hoch oben über dem Kronleuchter, ein Dorado für Motten und Hausstaubmilben, und die stickige Druckzentrale der Untermaschinerie im Keller, in der man sich wie im Maschinenraum eines Ozeandampfers fühlt. Besonders nachhaltig wurde in der DDR der 50er Jahre nicht wiederaufgebaut, wie auch. Das Morbide, Moribunde aber verströmt Magie. Die Gefahr, der Lindenoper mitsamt ihren Scheußlichkeiten ein Stück Seele aus dem Leib zu reißen, ist so klein nicht. HG Merz, der Architekt des Umbaus, wisse das, wird versichert. Und richtig „clean“ kriege man auch die neue Staatsoper beim besten Willen nicht.

Auf 239 Millionen Euro und stramme 36 Monate ist die Renovierung projektiert. 200 Millionen Euro gibt der Bund, den Rest teilen sich das Land Berlin und der Förderkreis. Der Wettbewerb um die Neugestaltung des Zuschauerraums war kein Ruhmesblatt, unter dem Druck der Geldgeber wurde der moderne Siegerentwurf gekippt und der Denkmalschutz alarmiert, jetzt gilt, mit gewissen Toleranzen, was Richard Paulick 1955 an „sozialistischem Barock“ hinterlassen hat. Viel ist das nicht, Paulick war mehr Architekt als Sozialist, mit dem zentralen Kronleuchter beispielsweise konnte er ein drohendes Arbeiter-und-Bauern-Deckengemälde verhindern. Und die beiden güldenen Reliefs in den Proszeniumslogen, auf denen das Volk marschiert, mit fetten Friedenstauben in den Händen und reich beflaggt, die waren für das Opernvolk unten im Saal gar nicht einsehbar. Die Reliefs werden sorgfältig restauriert und eingelagert, nach dem Fall der Mauer hatten Wütende hier den Meißel angesetzt. Ohne größeren Erfolg.

Nachtführungen seien in diesen letzten Tagen im alten Haus der absolute Renner, schwärmen Kai Keßner und Hans- Jörg Freyer, die beide als Komparsen wie als „Guides“ arbeiten. Selbst nach fünf Stunden „Tristan und Isolde“ stünden die Leute bei ihnen noch Schlange. Dabei ändert sich fürs Zuschauerauge wenig, nur hinter der Bühne wird nichts mehr sein, wie es war. Die gesamte Hydraulik etwa muss raus. Krupp’sche Wertarbeit, man stelle sich vor, Zylinder, Tauchkolben, Pumpen, Ventile, die zwei Kriegszerstörungen überstanden haben (1943 und 1945) und fast tadellos laufen. Tut das nicht weh, empfindet man das nicht als ungerecht und geschichtsvergessen? Bernd Michalski, der Herr über Ober- und Untermaschinerie, geniert sich, seine sonorer Bass sackt noch eine Terz tiefer, „an der Anlage hier sind wir alle gewachsen“. Michalski hat gerade sein 40-jähriges Dienstjubiläum gefeiert, 2013 wird er nicht mehr dabei sein. Zum Abschied hat er ein paar Fotos gemacht, fürs Album, „natürlich geht das nicht ohne Gefühle“. Und dann murmelt er etwas von Handbetrieb und sicherheitstechnischen Mängeln und dass er vom Neuen gewiss überzeugt sei, ganz gleich, ob die Anlage in Zukunft elektrisch betrieben werde oder wiederum hydraulisch, was er persönlich besser fände. „Aber wir haben das nicht zu entscheiden.“

Das Hauptrisiko, nicht nur hydraulisch gesehen, ist immer der Mensch. Davon lebt das Theater. In den 20er Jahren hat man versucht, die Fundamente der Staatsoper mit Bleiplatten und Bitumen gegen das Grundwasser abzudichten. Seitdem blutet das Material aus, was bedeutet, dass die Bitumenmasse zehn Meter weiter oben die Wände hochkriecht. Ölige Lachen bilden sich, Adern durchziehen den Putz wie getrocknetes Blut, es riecht. Zur Renovierung gibt es keine Alternative, da mag Heinz Buda noch so verliebt durch seine Katakomben stapfen. Sogar Brigitte Kirchberg will in den Ferien mal „probehalber“ zum Savignyplatz fahren. „Von da kann man zu Fuß gehen, hab’ ick gehört. Meinen kleenen Morgenspaziergang brauch ick nämlich. Bühneneingang Schillerstraße, korrekt?“

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