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Sieht in Berlin keine Perspektive mehr: Star-Choreografin Sasha Waltz.

© dpa

Sasha Waltz im Interview: „Die Grenze ist erreicht“

Abschied auf Raten: Im Interview spricht Star-Choreografin Sasha Waltz über die Tanzstadt, ihre Pläne und Probleme. Nach enttäuschenden Verhandlungen mit dem Senat denkt sie darüber nach, Berlin nach 20 Jahren zu verlassen.

Frau Waltz, Sie haben erklärt, dass Sie keine Perspektive für sich und Ihre Compagnie in der Hauptstadt mehr sehen und sich nach einem anderen Standort umschauen. Was hat Sie dazu bewogen?
Über zwei Jahre lang führten wir Gespräche mit Kulturstaatssekretär André Schmitz, die wir als konstruktiv empfunden haben, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, ohne Mehrkosten zu verursachen. Und zwar innerhalb verschiedener bestehender Strukturen, die das Land finanziert. Wir haben auch über das klassische und moderne Repertoire des Balletts nachgedacht und Ideen eingebracht, wie Tradition, Moderne und Gegenwart in eine sinnvolle Beziehung zu führen sind. Erst am Montag wurde uns dann offiziell mitgeteilt, dass der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit diesen Ansätzen gegenüber keine Offenheit gezeigt hat. Uns wurde aber auch keine Alternative angeboten. Das konnten wir kaum glauben, denn alle wissen, was das für uns bedeutet.

Sie haben immer wieder betont, dass Ihre Compagnie unterfinanziert ist, was die Senatsverwaltung auch so sieht. Hat es keine ermutigenden Signale gegeben?
Vor einem Jahr hatte ich das Gefühl, dass ich endlich ernst genommen werde. Man hat mir Lösungen angeboten, wie sich die Compagnie auf stabile Beine stellen lässt. Man darf nicht vergessen, dass bei unserer Förderung von insgesamt 1,85 Millionen Euro 875 000 Euro vom Hauptstadtkulturfonds kommen, vom Bund. Das sind eigentlich Projektmittel, die immer neu beantragt werden müssen und im Übrigen der freien Szene fehlen.
Sind die Gespräche mit der Senatskanzlei gescheitert?
Ich weiß nicht, ob man sie bereits als gescheitert bezeichnen sollte. Aber unser Vertrauen ist erschüttert.
Denken Sie wirklich darüber nach, Berlin zu verlassen oder ist das nur in der ersten Enttäuschung gesagt?
Ich brauche Stabilität, damit ich arbeiten kann. Und auch der zeitgenössische Tanz braucht eine Perspektive. Deswegen werde ich jetzt in ganz andere Richtungen denken. Der Moment ist gekommen: Ich muss jetzt diesen Schritt tun.

Sie haben gesagt, dass Sie Ihre Visionen in Berlin nicht mehr verwirklichen können. Wie soll man das verstehen?
Ich habe schon immer darüber nachgedacht, wie man Tanz vermitteln kann, auch über meine Arbeit hinaus. Das ist ja auch etwas, was wir an der Schaubühne mit anderen Choreografen wie William Forsythe, Alain Platel und Sidi Larbi Cherkaoui umgesetzt haben. Ein aktuelles Beispiel ist die historische Fassung des „Sacre du printemps“ von Strawinski und Nijinsky, ein Projekt, für das ein Ensemble von 46 Tänzern notwendig ist. Wir haben nicht die Mittel, ein solches Projekt zu stemmen, obwohl ich es unglaublich wichtig finde, dies einmal von einer zeitgenössischen Compagnie zu sehen.
2013 wird das 100-jährige Jubiläum der Uraufführung gefeiert. Ein Datum, das weltweit von Opernhäusern und Ballettcompagnien zum Anlass einer Bestandsaufnahme genommen wird.
Ich wage mich zum ersten Mal an ein so bedeutendes Werk der Musik- und Tanzgeschichte. Nächste Woche beginnen dafür die Proben in Berlin. Die Uraufführung wird mit dem Mariinsky-Ballett in St. Petersburg stattfinden, im Oktober wird das Werk in Berlin an der Staatsoper mit unserer Compagnie unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim zu sehen sein. Eine Zusammenarbeit, auf die ich mich außerordentlich freue! Die historische Fassung, die das Mariinsky im Repertoire hat, wird man in Paris und St. Petersburg sehen können. Nicht in Berlin. Das ist schade.

"Es fehlt ein Gesamtkonzept"

Der Berliner Tanz steckt in der Krise. Staatsballett-Chef Vladimir Malakhov wurde herausgedrängt – und mit Nacho Duato in aller Eile ein Nachfolger ernannt. Eine konservative, nicht sehr risikofreudige Entscheidung. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Ich hätte es gut gefunden, wenn ein Gesamtkonzept entwickelt worden wäre. Natürlich muss das klassische Erbe bewahrt werden. Aber umso mehr muss über neue Strukturen nachgedacht werden, auch über eine Öffnung hin zum zeitgenössischen Tanz. Die Pflege des klassischen Repertoires, die niemand infrage stellt, sollte um die epochalen Werke seit Merce Cunningham über Trisha Brown und Pina Bausch bis hin zur Gegenwart erweitert werden. Wenn man sich zum Beispiel das Pariser Ballett anschaut: Dort bildet man mit klassischem Tanz, der klassischen Moderne und einem Repertoire mit zeitgenössischen Werken das gesamte Spektrum des Tanzes ab. Das ist, als wenn man ins Museum geht und die unterschiedlichen Bilder vor sich hat – und es keine Lücke gibt bis hin zur Gegenwartskunst. Es ist die Leistung der Direktorin Brigitte Lefèvre, dass sie dem zeitgenössischen Tanz einen Platz erstritten hat. Niemand bestreitet dort die Wichtigkeit und das ausgewogene Verhältnis zwischen Klassik und Moderne. Dies wäre auch ein Modell für Berlin gewesen, in diese Richtung gingen unsere Überlegungen.
Glauben Sie, es gibt eine Schieflage in der Tanzförderung? Klaus Wowereit hat gerade erklärt, Ihre Arbeit sei so hervorragend, nicht zuletzt weil Sie von Berlin so gute Bedingungen bekommen hätten.
Das Staatsballett bekommt von Berlin eine Förderung von 7,4 Millionen Euro, Sasha Waltz & Guests 975000 Euro. Außerdem gibt es eine große und vielfältige freie Szene unter anderem mit Toula Limnaios, Constanza Macras und neuen Produktionsräumen wie den Uferstudios und den Eden-Studios, die mit noch viel geringeren Mitteln auskommen müssen. Für mich ist das unausgewogen. Von einer klugen Lösung, an der wir gearbeitet haben und mit der sich Wowereit nicht beschäftigt hat, hätte das Land Berlin profitieren können. Dann wäre mehr Geld für die freie Szene frei geworden.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten ...
Ich brauche ein Ensemble von 30 Tänzern und einen Ort, wo dieses Ensemble eine Heimat hat und unser Repertoire spielen kann. Ich bin offen für Lösungen. Aber man muss auf mich zugehen. Inhaltlich stehe ich den Opernhäusern am nächsten, weil da ein intensiver Dialog zwischen Orchester, Chören, Sängern und dem Tanz begonnen hat.

Manche haben den Eindruck, dass nun der klassische und der zeitgenössische Tanz gegeneinander ausgespielt werden. Das ist doch ein Anachronismus.
Ich habe die größte Hochachtung vor dem klassischen Repertoire und den Balletttänzern, obwohl ich mich in meiner eigenen Laufbahn für einen anderen Weg entschieden habe. Ich schaue mir auch viele klassische Ballette an und plädiere dafür, dass das klassische Erbe gepflegt wird. Ich habe an der Pariser Oper und an der Mailänder Scala gearbeitet und werde demnächst am Mariinsky in St. Petersburg sein. Klassische Tänzer in zeitgenössischen Produktionen – auch das ist eine Befruchtung. Aber natürlich muss die Gewichtung stimmen. Auch der zeitgenössische Tanz hat eine Stimme und er hat ein großes Publikum.
Fühlen Sie sich Berlin noch verbunden?
Ich lebe seit 20 Jahren in Berlin, ich habe hier alle meine Stücke herausgebracht. Ich bin zutiefst verwurzelt hier. Berlin hat mich immer inspiriert – auch aus dem Mangel heraus zu schöpfen. Die Gründung der Sophiensäle und auch des Radialsystems waren ja Reaktionen auf diesen Mangel. Ich liebe diese Stadt, aber für mich ist jetzt eine Grenze erreicht.
Das Gespräch führte Sandra Luzina.

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