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Saudi-Arabien: Weltkulturerbe Dschidda ist ein Signal für die Zukunft

Mit dem frisch gewonnenen Weltkulturerbe-Status hat Dschidda in Saudi-Arabien die Chance, seine einzigartige Altstadt zu retten.

Am 21. Juni dieses Jahres war es soweit: ein Teil der Altstadt von Dschidda erhielt unter dem Titel „Das historische Dschidda – Tor von Mekka“ die begehrte Auszeichnung „Weltkulturerbe der Unesco“. Die Altstadt schmückt, sie lockt Touristen an, sie kann aber auch Konflikte um die Stadtentwicklung auslösen oder beeinflussen. Dies kennen wir aus Dresden: Der „Kulturlandschaft Dresdner Elbtal“ wurde der Titel 2009 wegen des Baus der Waldschlösschenbrücke wieder aberkannt, nachdem er erst fünf Jahre zuvor verliehen worden war. In Dschidda ist es eher umgekehrt: Die Aufnahme in die Unesco-Liste soll in dem jahrzehntelangen Kampf um die Frage nach Erhalt oder Abriss der Altstadt den Ausschlag geben. Damit, so hoffen die Antragsteller, wird auch die Restaurierung eines einzigartigen architektonischen Kleinods ermöglicht.

Als Hafenstadt am Roten Meer auf der Arabischen Halbinsel hat Dschidda eine lange, noch keineswegs vollständig erforschte Geschichte. Darauf verweist das sich außerhalb der Stadtmauern befindliche Grab, welches der biblischen (und koranischen) Eva zugeschrieben wird. In islamischer Zeit wurde Dschidda bekannt, weil der dritte Kalif (Nachfolger des Propheten Muhammad), Uthman bin Affan, Dschidda um das Jahr 657 aufgrund seiner Lage zum offiziellen Hafen der heiligen Stadt Mekka erklärte. Diese ist Ziel der jährlichen Pilgerfahrt für Muslime aus aller Welt. Auch in nautischer Hinsicht war Dschidda ein geeigneter Haltepunkt zwischen Aden und Suez. Die Stadt litt allerdings unter zwei großen Problemen: Aufgrund der Korallenriffe mussten Schiffe im Meer ankern und Personen wie Waren ausgeschifft werden. Zudem hatte die Stadt keine eigenen Wasservorräte, sondern war auf Zisternenwasser aus dem Umland und die Zuleitung von Quellwasser aus den nahen Bergen angewiesen. Erst im frühen 20. Jahrhundert wurde das Problem mithilfe der Entsalzung von Meerwasser gelöst.

Diese Schwierigkeiten erklären, zusammen mit politischen Auseinandersetzungen um die Kontrolle der Region Hedschas, die wechselhafte Geschichte der Stadt: Während Reisende im 11. Jahrhundert sie als blühende Handelsstadt mit einem großen persischsprachigen Bevölkerungsanteil beschrieben, konstatierte der Geograf Ibn Dschubair hundert Jahre später ein Bild des Niedergangs. Im frühen 16. Jahrhundert wurde eine Stadtmauer errichtet. Dies geschah, um die Stadt vor marodierenden Beduinen zu schützen und um den portugiesischen Seefahrern, die vom Indischen Ozean aus ins Rote Meer vordrangen, Einhalt zu gebieten. Dabei erhielten die Bewohner Dschiddas von den Osmanen, welche 1517 die ägyptischen Mamluken als Herrscher ablösten, tatkräftige Unterstützung.

Unter osmanischer Herrschaft ein kosmopolitisches Gemeinwesen

Unter osmanischer Oberhoheit wurde Dschidda zum offiziellen Einfuhrhafen für Waren aus dem Indischen Ozean, die ins Osmanische Reich importiert oder durch selbiges in den nördlichen Mittelmeerraum transportiert wurden. Damit konsolidierte sich seine Rolle als Handelsstadt, auch wenn weiterhin Häfen wie Mokka, Yanbu und auf der afrikanischen Rotmeerseite Massawa und Suakin konkurrierten. Arabische und indische, afrikanische und europäische Händler errichteten Handelsniederlassungen, viele Pilger ließen sich zeitweilig oder dauerhaft in Dschidda nieder, sofern sie nicht in Mekka oder Medina verblieben. So entstand in Dschidda ein ausgesprochen kosmopolitisch orientiertes Gemeinwesen. Nichtmuslimische Bewohner blieben eher die Ausnahme, da ihre Anwesenheit so dicht an der heiligsten Stadt des Islam mit Misstrauen beobachtet wurde.

Die heutige Architektur der Altstadt Dschiddas ist geprägt durch eindrucksvolle, zumeist drei- bis sechsstöckige Kalksteingebäude. Ursprünglich waren wohl nur die Marktstraßen, die parallel zum Meer verliefen und in denen sich die meisten Handelskontore und Häuser wohlhabender Händler befanden, sowie jene Straße, die die Altstadt Richtung Mekka durchquerte, von zwei- bis dreistöckigen Steinhäusern gesäumt. Der Rest der Innenstadt bestand aus Palmhütten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts jedoch nahm die Bebauung konstant zu und die Häuser wurden erweitert oder neu gebaut. Die Untergeschosse dienten als Geschäfts- und Lagerräume, während die Familie in den oberen Stockwerken lebten. Die Pilgersaison brachte einen oft mehrwöchigen bis -monatigen temporären Bevölkerungszuwachs von einigen tausend bis zehntausend Personen. In dieser Zeit rückten die Bewohner zusammen oder wichen in Häuser in anderen Städten aus, um Wohnraum an Pilger vermieten zu können.

Nur Dschidda verfügt noch über ein halbwegs einheitliches Ensemble

Belüftet wurden die Häuser über große Fensteröffnungen, welche mit prächtig geschmückten Fensterläden (Roschan) verkleidet waren. Sie zeigen Anklänge an die Kairiner Fenstergitter, weisen aber insgesamt einen sehr eigenen Stil auf, der auch jemenitische und indische Elemente aufgreift. Am ehesten sind sie den Häusern der benachbarten Städte am Roten Meer verwandt, so dass auch von einem eigenen Rotmeerstil gesprochen wird. Allerdings sind fast alle anderen historischen Stadtkerne am Roten Meer, wie etwa Hodeida und Mokha im Jemen, mittlerweile verfallen oder abgerissen. Nur Dschidda verfügt noch über ein halbwegs einheitliches Ensemble, das insbesondere durch den bis heute überaus lebhaften Markt und die weiterhin in der Altstadt angesiedelten Großhändler am Leben gehalten wird.

Von 1300 Häusern (1970) stehen gerade noch 350 Häuser.

Dennoch befindet sich die Altstadt heute in einem höchst bemitleidenswerten Zustand: Von etwa 1300 alten Häusern, die 1970 aufgelistet wurden, stehen jetzt nur noch cirka 350. Dies hat im wesentlichen mit der jüngeren Stadtentwicklung zu tun. Während in den ersten Jahrzehnten nach der Integration des Hedschas in das saudische Herrschaftsgebiet 1925 nur die schrittweise Modernisierung (Wasserversorgung, Elektrifizierung, Errichtung einiger Bauten außerhalb der Stadtmauer) fortgesetzt wurde, die in spätosmanischer Zeit eingesetzt hatte, änderte sich dies nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Beginn der saudischen Erdölexporte begann ein Modernisierungsschub. 1947 wurde die Stadtmauer abgerissen und erste Straßenschneisen wurden durch die engen Altstadtgassen geschlagen. In den Folgejahren verstärkte sich die Bautätigkeit in den Vororten, und zwischen 1960 und 1980 verließen die meisten Familien ihre Häuser in der Altstadt, um moderne Neubauten, insbesondere nördlich derselben, zu beziehen. Die Altstadthäuser wurden zunehmend an Zuwanderer aus ländlichen Gebieten vermietet. Heute dienen sie Lagerzwecken, werden an Gastarbeiter vermietet oder stehen leer. Gerade in den Randbereichen der Altstadt wurden Gebäude nicht renoviert, sondern abgerissen und durch neuartige Betonkonstruktionen ersetzt, im Geschäftsviertel am Meer auch durch Hochhäuser.

Seit den 1980er und 90er Jahren gab es einige Enthusiasten, die einzelne Häuser renovierten oder sich für den Erhalt der Altstadt einsetzten. Insgesamt jedoch verfiel die Altstadt dramatisch, selbst nach einem offiziellen Abrissverbot. Häuser brannten ab oder stürzten aufgrund fehlender Kanalisation nach Regenfällen ein. Dies lag teils am Desinteresse der Besitzer oder Uneinigkeit zwischen Erben über den künftigen Umgang mit dem Besitz, teils an der Erwartung, die Grundstücke mit einträglicheren Neubauten in Wert setzen zu können. Dennoch identifizieren sich Familien aus Dschidda mit „al-Balad“, wie die Altstadt liebevoll genannt wird – oft, ohne diese genauer zu kennen. In der Vergangenheit warfen sie gern dem Staat vor, diese bewusst zu vernachlässigen. Teils wurde dies in einer Linie gesehen mit der radikalen Umgestaltung von Mekka und mündete im Extremfall in dem Vorwurf, der Staat wolle das regionale kulturelle Erbe bewusst vernichten. Insofern kann die staatliche Initiative zur Anerkennung Dschiddas durch die Unesco durchaus als wichtiges politisches Signal an die lokale Bevölkerung verstanden werden, dass man sich um den Erhalt des architektonischen Erbes bemüht, und zwar nicht nur im Fall der alten saudischen Hauptstadt Dir’iyya in der Region Nadschd, sondern eben auch in anderen Regionen.

Das Nutzungskonzept muss für die Bewohner sein

Die kommenden Jahre werden zeigen, inwieweit es gelingen kann, zumindest den Kern der Altstadt von Dschidda zu retten. Dabei wäre wünschenswert, dass die noch lebendigen Teile des Markts erhalten bleiben. Das künftige Nutzungskonzept sollte die Altstadt und die angrenzenden Bezirke nicht in ein unbewohntes „Disneyland“ für Besucher verwandeln, aus dem die gegenwärtigen Bewohner einfach vertrieben werden. Ebenso muss in der weiteren Bevölkerung ein über Lippenbekenntnisse hinausgehendes Verständnis für die Altstadt geweckt werden, um auch private Investitionen anzukurbeln. Hier sind im vergangenen Jahr mit verschiedensten Veranstaltungen wichtige erste Schritte gemacht worden. Man kann nur hoffen, dass dieses schwierige Unterfangen gelingt – es wäre ein wichtiger Schritt, um die Vielfalt saudischer historischer und architektonischer Kultur für künftige Generationen zu bewahren. Die Unesco hat ihre Unterstützung erklärt, jetzt liegt es an den saudischen Behörden und den Bewohnern Dschiddas, gemeinsam einen guten Weg zu finden.

Die Autorin ist Direktorin des Zentrums Moderner Orient und Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Ulrike Freitag

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