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Kultur: Saul gut! Der Wunsch nach mehr - das ehrlichste Kompliment

Das Gemeine an Qualität ist, daß sie einen für künftige Mittelmäßigkeiten hoffnungslos verdirbt.Wer könnte sich etwa nach diesem "Saul" noch unvoreingenommen anderen ehrenwerten Händel-Versuche aussetzen?

Das Gemeine an Qualität ist, daß sie einen für künftige Mittelmäßigkeiten hoffnungslos verdirbt.Wer könnte sich etwa nach diesem "Saul" noch unvoreingenommen anderen ehrenwerten Händel-Versuche aussetzen? Dem RIAS-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik gelingt an diesem Abend im Kammermusiksaal Großes: eine Interpretation, die von den künstlerischen Rahmenbedingungen bis ins musikalische Detail durch Stimmigkeit überzeugt.Das beginnt beim optimalen Kräfteverhältnis der beiden Klangkörper: Keine wabernde Chorsoße überschwemmt die Orchesterstimmen.Der lebhaft pochende Puls, die affektillustrierenden Instrumentalfarben bleiben auch gegenüber dem kompaktesten Chorjubel noch präsent.Dabei wahrt Marcus Creed mit seiner Akademie ein durchsichtiges Klangbild, in das sich selbst die filigranen Episoden von Glockenspiel und Soloharfe bruchlos einpassen.Creeds "Saul" ist kein feierliches Oratorium, sondern eine dramatische Bibeloper, ein gleichaltriger Cousin von Händels späten Bühnenwerken wie "Xerxes" oder "Deidamia".Auf der Konzertbühne stehen prägnant gezeichnete Charaktere: Der schmusig verträumte Hirtenjunge David, der jugendlich idealistische Jonathan, der unter Cäsarenwahn leidende Saul.Ein Hauptverdienst der Aufführung ist, daß sie für das Halbdutzend größerer Rollen zwingende, schon von der vokalen Ausstrahlung her einander ideal ergänzende Besetzungen findet.Der amerikanische Countertenor Daniel Taylor mit so engelhaftem, weich leuchtendem Ton, daß man sich für den geplagten König keinen besseren Seelentröster vorstellen kann.Shooting Star Ian Bostridge stellt diesem Sunnyboy einen Jonathan voller Unrast und Eifer gegenüber, schöpft das dramatische Potential seiner Rolle in den leidenschaftlichen Auseinandersetzungen gegenüber seinem hitzigen Vater aus.Dem gibt Paul Wheelan einen passend zwiespältigen Anstrich - nicht einseitig mit Baßmaterial protzend ermannt sich dieser eigentlich schwache König meist erst im Laufe seiner Phrasen zu entschiedeneren Lautstärken.Trotz dieser Männerdominanz hinterlassen auch die Frauen starken Eindruck: Das ungleiche Schwesternpaar Michal und Merab sind hier Sophie Daneman und Lynda Lee.Beide geben ihren Rollen über Oratoriensingerei hinaus starkes theatralisches Format: Daneman mit ihrer Kathleen-Battle-Stimme ist der Schwester gegenüber herrlich schmalstimmig zickig, kann ihrem David gegenüber auch rundere Töne anschlagen.Lee, gefeierter Xerxes der Hallenser Händelfestspiele, demonstriert im ersten Akt hochmütig ausgestellte Koloraturgeläufigkeit, kann mit ihren neu erworbenen (noch etwas ungefestigten) Sopranhöhen aber auch die trauernde Frau der Schlußszenen verkörpern.Bei diesem durch den milden Priester Ian Honeymans und mehrere Chorsolisten kompetent verstärkten Ensemble bedauert man allein, daß Händel hier meistenteils nur kurze Arien gestattet.Der Wunsch nach mehr ist wohl das das ehrlichste Kompliment.

JÖRG KÖNIGSDORF

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