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Kultur: "Scary Movie": Der letzte Schrei

Was ein Horrorfilm ist, das ist gar nicht so leicht zu sagen. Von "Nosferatu", der in Wes Cravens "Scream 2" im Hintergrund im TV flimmert, als sich ein Mord anbahnt, bis zu den Blutorgien der Splatterfilme reicht der Bogen.

Was ein Horrorfilm ist, das ist gar nicht so leicht zu sagen. Von "Nosferatu", der in Wes Cravens "Scream 2" im Hintergrund im TV flimmert, als sich ein Mord anbahnt, bis zu den Blutorgien der Splatterfilme reicht der Bogen. Natürlich geht es dabei immer um Angst. Und um eine Definition des Kinos. Kein anderes Genre stellt so vehement die Frage, welche Bilder wir sehen wollen, kein anderes Genre treibt uns bis an die Grenzen unserer Schaulust.

Das Kino entstand auf dem Jahrmarkt: dort, wo sich der Pöbel mit billigen Vergnügungen die Zeit vertrieb und sich kein anständiger Bürger blicken ließ. Heute, hundert Jahre später, ist das Kino Kunst und Teil des kulturellen Kanons geworden. Nur Horror- und Sexfilme erinnern unmissverständlich an die Herkunft der Kinematografie. Vielleicht liest man in den Feuilletons deswegen so wenig über Sex und Horror im Kino. Und wenn, dann meist, wenn es um Verbote geht. Der verächtliche Blick auf den Horrorfilm will auch beiseite drängen, dass, wie Walter Benjamin schrieb, alle Kultur auf Gewalt fußt.

Warum schauen wir uns Horrorfilme an? Das Bild des Furchtbaren, der entstellten Körper und klaffenden Wunden, schafft eine Spannung, eine Ambivalenz. Wir wollen alles sehen, jedes Detail des Schreckens mitbekommen - und gleichzeitig am liebsten nicht hinschauen. Dieser Blick ist die Urszene des Genres, sein Kern, seine Essenz. Und damit hat das Genre ein fundamentales erzählökonomisches Problem: Es geht (wie im Sexfilm) letztlich immer nur um das eine: um den Schock, um unsere Erfahrung dieser Ambivalenz. Allerdings hat der Horrorgenre dieses Problem kreativer gelöst als der Sexfilm: vielleicht weil Angst ein Gefühl mit mehr Schattierungen ist als Lust.

Die letzte Revolution im Genre geschah 1978 mit John Carpenters "Halloween", der so etwas wie das Vorbild der slasher movies wurde. Slasher-Filme erzählen meist die Geschichte von Kleinstadt-Jugendlichen, die nacheinander ermordet, aufgeschlitzt, getötet werden. Der Slasher ist dabei mehr oder weniger deutlich die Verkörperung pubertärer, sexueller Ängste. Das Slasher-Monster ist, wie Georg Seeßlen schreibt, "ein gequältes, unterdrücktes Es, das mit der Messerklinge in die Körper fahren will." So ist dieser Killer auch eine deprimierende Beschreibung einer Jugend ohne Zukunft. Er zerstört die Körper, weil er sie nur so besitzen kann. Er reißt und schneidet die Körper auseinander, so wie ein einsames Kind mit kaltem Blick sein Spielzeug auseinander nimmt.

Die teen slasher movies verschwanden in den 80ern wieder aus den Kinos. Ihr Reservoir war erschöpft, sie taugten nur noch für Parodien. Horrorfilmmoden sind kurzlebig - weil das gleiche erzählerische Problem notorisch wiederkehrt: Wie erzeugt man Schocks, ohne sich zu wiederholen?

Der Horrorfilm der 90er beantwortete diese Frage mit einem postmodernen Rezept: dem Zitat. "Scream" wurde 1996 der kommerziell erfolgreichste Horrorfilm aller Zeiten, weil er die bekannte Story vom maskierten Serienmörder schneller, raffinierter und lustiger erzählt als je zuvor. Regisseur Wes Craven verband Tempo, Thrill und Gewalt perfekt mit Reflexion. Es wimmelte von Zitaten und ironischen Brechungen. So schauen sich die Figuren, die es im nächsten Moment erwischen wird, dauernd Horrorfilme an und wissen, was man in Slasher-Filmen wie "Scream" nicht tun darf. Zum Beispiel zu sagen: Ich bin gleich wieder da. Oder Sex zu haben. Denn das endet tödlich. In "Scream" wissen die Filmfiguren genau so viel über das Genre wie wir, das Publikum.

Dieses Spiel mit den Konventionen funktioniert in "Scream" so brillant, weil das Wissen den Schock nicht dämpft, weil die Ironie die Bedeutung nicht frisst. Gleichzeitig hat Wes Craven, der früher mal Collegelehrer war und vielleicht der klügste Horrorfilm-Regisseur ist, das Genre von seiner reaktionären Moral befreit. Die Heldin Sidney Prescott (Neve Campbell) überlebt ihre Entjungferung, die Gleichung von Sex und Tod ist aufgehoben.

Sidney Prescott ist das final girl, die Frau, die am Ende überleben wird, weil sie den Killer im Grunde versteht. Denn der Slasher und sein Opfer haben das gleiche Problem: eine Schuld in der Vergangenheit. So geschieht der erste Mord in "Scream" genau ein Jahr, nachdem Sidneys Mutter starb. Den Mörder in "Scream" treibt, wie sich herausstellt, genau dies um. Weil Sidneys Mutter seinen Vater verführte, tötete er erst Sidneys Mutter, dann alle anderen, die ihm vor das Messer kamen. Der Slasher verkörpert nicht nur den Einbruch der Gewalt in die gutbürgerlichen Vorstädte, er ist auch eine Art Rache der Vergangenheit an der Gegenwart.

"Scream 2" (1998) spielte, wie der erste Teil, in den USA über 100 Millionen Dollar ein. Das war ein, mit einer 28 Millionen Dollar teuren Werbekampagne geschürtes Missverständnis. Denn "Scream 2" ist kein effektsicherer Horrorfilm, sondern ein ziemlich verwirrender Metahorrorfilm. Wir sitzen im Kino und schauen in der ersten Szene einem Kinopublikum zu, das einen Film sieht. Und zwar "Stab", einen Film im Film, die Verfilmung der Ereignisse des ersten Teils. Die Handlung ist konfus, die Figuren in "Scream 2" sind vor allem mit der Frage beschäftigt, ob die Fortsetzungen von "Nightmare" oder "Stars Wars" je so gut waren wie die erste Folge. "Sequel sucks" hört man - ein riskanter Scherz in einem Sequel.

Im ersten Teil verstärken Wissen und Selbstreflexion den Schock, in "Scream 2" ist das Gleichgewicht von Schrecken und spielerischer Brechung des Schreckens aus dem Lot geraten. Die Dialektik von Grauen und Lachen, die "Scream" so furchtbar perfekt entfaltete, versiegt. "Scream 2" ist ein medientheoretischer Kalauer, in dem die Ironie die Bedeutung zerstört.

Der Terror im Idyll

Der dritte Teil (1999) ist ein Meta-Meta-Horrorfilm, der die Ebenen bis zum Äußersten verschraubt. "Scream 3" spielt bei den Dreharbeiten zu "Stab 3", dem dritten Teil der Verfilmung der Ereignissse von "Scream", also bei seinen eigenen Dreharbeiten. Das führt zu dem aparten Effekt, dass alle Figuren doppelt auftreten: "echt" und als jene Schauspieler, die sie in "Stab 3" verkörpern. Der Suspense entsteht unter anderem aus der sportiven Frage, wer zuerst stirbt: das Original oder der Schauspieler.

Doch "Scream 3" ist, anders als der zweite Teil, mehr als eine Collage von Zitaten, mehr als ein Film-im-Film-im-Film-Rätsel. Im dritten Teil kehrte die Trilogie zum Tragischen zurück, zur klassischen Bearbeitung des Ur-Traumas der Heldin. Sidney Prescott muss das Schicksal ihrer Mutter enthüllen - jene Schuld in der Vergangenheit, ohne die es ihren fasziniert-angstvollen Blick auf den Slasher nicht geben würde. In "Scream 3" erscheint Sidney ein Mal ihre Mutter im Traum: ein blutiges Gespenst, das die Wurzeln des Übels zu sein scheint. Diese Traumszene bricht mit jeder Ironie: Sidney, so die Botschaft, muss eigentlich nicht den Slasher besiegen - sie muss die Vorstellung, dass sie eine glückliche Kindheit hatte, töten. Vielleicht waren all die Scream-Killer Sidneys Fantasiegestalten - erfunden, um dem verdrängten Schrecken wenigstens ein Gesicht zu geben. Am Ende von "Scream 3" kann die Heldin folgerichtig nur sterben - oder erwachsen werden. Sidney, das final girl, überlebt natürlich. Das Schlussbild zeigt sie in ländlicher Idylle. Das Trauma ist bewältigt, der Killer tot. Sie sitzt in der Küche, alles ist gut. Da öffnet ein leichter Windzug plötzlich die Gartentür und erinnert uns, dass im Idyll der Terror steckt.

Wes Craven hat in dieser Trilogie alle Varianten des Genres ausgeleuchtet: den Thriller, die medientheoretische Pirouette, schließlich das Psycho-Drama. Danach kann eigentlich nichts mehr kommen - nur noch die Wiederholung. Oder die Parodie.

Keenen Ivorys Wayans unternimmt mit "Scary Movie" den heillosen Versuch, "Scream" zu persiflieren. An die Stelle der Ambivalenz von Sehen und Wegschauen, die das Genre definiert, setzt "Scary Movie" die Zote. Es hagelt Pimmel- und Fäkalwitze. In gewisser Weise ist dies das Gegenbild zu "Scream 3". Wo Craven die Schmerzen zeigt, die der Abschied von der Kindheit mit sich bringt, inszeniert Wayams dröhnend die schenkelklopfende Lust an der Regression. Wer zu erst Schwanz sagt, hat gewonnen.

Die Scream-Filme waren von Beginn an Reflexionen von Reflexionen - und damit auch ihre eigene Aufhebung. Parodieren kann man wohl nur, was sich selbst ernst nimmt. Auch deshalb ist "Scary Movie" ein so trostloser Film. "Scary Movie" besiegelt mal wieder das Ende des Genres. Es ist alles gesagt, alles gezeigt, jedes Bild und jedes Gegenbild. Aber unsere Lust am Unsicheren, am Spiel mit Schrecken und Ironie bleibt.

Stefan Reinecke

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