zum Hauptinhalt

Kultur: Schau mir in die Augen, Kleines

Künste und Wissenschaften verbindet ein jahrhundertelanger Dialog, ein gemeinsames Fragen, das älter ist als die enzyklopädischen Projekte des 18.Jahrhunderts und länger währen wird als die zaghaften Wiederbelebungsversuche des 20.

Künste und Wissenschaften verbindet ein jahrhundertelanger Dialog, ein gemeinsames Fragen, das älter ist als die enzyklopädischen Projekte des 18.Jahrhunderts und länger währen wird als die zaghaften Wiederbelebungsversuche des 20.Jahrhunderts.Doch neuerdings eint Wissenschaft und Kunst eine Mesalliance.Die Errungenschaften der Kunst wie der Wissenschaft sind derart komplex, daß sie einem breiten Publikum unzugänglich sind.Neuere Kunstproduktion erscheint so kompliziert wie Raumfahrttechnologie; wie in wissenschaftliche Probleme muß man sich auch in die Themen der Kunst einarbeiten, um sie zu verstehen.

Sehen und Wissen leben heute getrennt voneinander.So nimmt es denn auch kaum Wunder, daß das Plakat eines künstlerisch-wissenschaftlichen Ausstellungsprojektes im Künstlerhaus Bethanien aussieht wie eine Formentafel aus dem Chemieunterricht.Auch die Teilnehmerliste von "Formule 2" nimmt sich aus wie die Versammlung einer Forschungsgruppe: Den Einzelkünstler gibt es nicht mehr, sondern nur noch Projektgruppen; statt Werke sind es gemeinsame Experimente.Zum Beispiel das "Hygienesystem" einer Gruppe namens "N 55" im Zentrum der Kapelle von Bethanien: eine beliebig erweiterbare Anzahl bunter Plastikkuben, die als Toiletten, Badewannen oder Mülleimer dienen können.Oder das "Telegrooming"-Projekt von Georg Winter und Rainer Miller, das mit Versuchspersonen aus Berlin-Kreuzberg eine Art Ethnologie des Fernsehschauens erarbeitet.Oder auch die interaktive Klangskulptur "realistic", die Carsten Nicolai mit Hilfe einer gewissen "double replication loop"-Theorie von Takashi Ikegami in Bethanien realisierte: Geräusche von Besuchern werden in einer Schleife mit Geräuschen früherer Besucher remixt, so daß eine Art auditives Gedächtnis der Ausstellung entsteht.

Auch im Rest der Show muß es tönen und klickern, um attraktiv zu sein.Alles ist bunt und blasig wie Kaugummi.Konsumierbar sind nahezu alle Arbeiten der Ausstellung.Ob es sich nun um die explosive Kraft des Samenkorns handelt, die mit Hilfe einer Apparatur von Wolf Vogler visualisiert wird, oder um eine Malerei als Interface zwischen Raum, Computer und Animation, wie sie Harold Shouten und Gerard de Zeeuw präsentieren.In den spekulativsten Arbeiten der Ausstellung - wie dem Film Nostroc Terraformers von Mike Tyler und Jos Mol, den Viborgs von Tynne Claudia Pollmann, mit denen die Künstlerin und Medizinerin die Entdeckungen der Hirnforschung begleitetn - kommt es zu einer Art wissenschaftlichen Esoterik, die zwischen archaischem Künstlertraum und Science Fiction changiert.Bestenfalls sind künstlerischer und wissenschaftlicher Wert der Objekte nicht mehr zu trennen, wie zum Beispiel bei Cornelia Hesse-Honeggers biologischen Zeichnungen von mutierten Pflanzen und Insekten aus der Nähe von Kernkraftwerken.

Das klassische Problem zwischen Künsten und Wissenschaft - die Opposition von sinnlichem Schein und wissenschaftlicher Wahrheit - löst sich in Wohlgefallen auf.Begeistert brechen Künstler und Wissenschaftler gemeinsam in die globale und interaktiv vernetzte Zukunft auf.Doch dabei vergessen sie, daß dieser Aufbruch ihrer beider Anfang war.Keine einzige Arbeit weist auf die historische Konstante des Dialogs zwischen Künsten und Wissenschaften hin.Die Ausstellung des Künstlerhauses Bethanien ist richtungsweisend, kein Zweifel.Die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft - und nicht nur mit der Naturwissenschaft, sondern auch mit der Geisteswissenschaft, die von "formule 2" ausgegrenzt wird - ist ein willkommenes Wagnis.Gerade nach der Verpoppung des Kunstgeschehens durch Berlin-Biennale und die "Sensation"-Ausstellung im Hamburger Bahnhof.

Doch wer meint, die Wissenschaft würde die Kunst vor der Beliebigkeit retten, sieht sich getäuscht.Eine neue Mission, einen heilsbringenden Inhalt vermag auch die Wissenschaft der Kunst nicht zu verschaffen.Stattdessen entpuppt sie sich in ihrem selbstgenügsamen Spiel als ebenso orientierungslos wie die Kunst.Doch anstatt diese gemeinsame Willkür inhaltlich zu fixieren und an die Tradition gemeinsamen Fragens anzuknüpfen, vernarrt man sich im Spiel miteinander.Kunst und Wissenschaft verlieren sich, als daß sie sich gegenseitig in die Augen blicken.Und das ist nicht das schlechteste.

Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 28.Februar; Mittwoch bis Sonntag 14-19 Uhr; am 21.1.20 Uhr, Diskussion mit Cornelia Hesse-Honegger; 14.2.16-20 Uhr, Symposium zu Gentechnologie und Kunst; 21.2.Vorträge Tynne Claudia Pollmann / Reinhard Horowski.Vom 4.-7.3."Des Künstlers Hirn" von Via Lewandowsky und Durs Grünbein.

KNUT EBELING

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false