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Kultur: Schaubühne bald ohne Tanz?

Berlins Kulturetat – ein offenes Spiel

Das von Bundespräsident Johannes Rau ins Leben gerufene „Bündnis für Theater“ versammelt sich am 14. November zu einem hoch besetzten Kongress in Berlin, um über so schöne und bedeutende Dinge wie „Pflichtaufgabe Kultur?“ und „Mehr Eigenverantwortung für Theater?“ zu reden. Derweil liegt der hauptstädtische Kulturetat 2004/05 auf Eis, die rot-rote Koalition hat sich immer noch nicht geeinigt. Man kann den Grund dafür in der überraschend wieder aufgeflammten Debatte über die Opernstiftung vermuten. Aber es gibt auch größere Baustellen: die Schaubühne zum Beispiel. Die Situation sei „absolut ernst“, erklärt Schaubühnen-Direktor Jürgen Schitthelm dem Tagesspiegel.

Nach dem gegenwärtigen Stand muss das Haus am Lehniner Platz eine faktische Kürzung von 1, 4 Millionen Euro gewärtigen. Bleibt es dabei, dann gehört das seit drei Jahren mit Erfolg praktizierte Modell, das Schauspiel und Tanz unter einem Dach vereint, der Vergangenheit an. Der derzeitige Spielplan wäre dann nicht mehr zu realisieren, und bei einer geringeren Zahl von Premieren würden auch die Einnahmen sinken. Eine verfahrene Angelegenheit.

Absurderweise bekennen sich Politiker aller Fraktionen zu dem künstlerischen joint venture von Thomas Ostermeier und Sasha Waltz. Auch Kultursenator Thomas Flierl hat den erhöhten Finanzbedarf der Schaubühne stets anerkannt. Doch soll es nach Auskunft der Kulturverwaltung bei den gegenwärtigen 11,88 Millionen Euro Zuschuss zumindest für 2004 bleiben. Mehr sei nicht möglich. Die Schaubühne wird aufgefordert, in den kommenden Wochen bis zur abschließenden Lesung des Haushalts ein auskömmliches Finanzmodell vorzulegen. Eine Schaubühne ohne Tanz, so die klare Ansage aus dem Hause Flierl, sei keine Option.

Sasha Waltz und Jochen Sandig, die beiden künstlerischen Leiter der Sparte Tanz, denken schon länger über Veränderungen nach. „Wir sitzen zwischen allen Stühlen“, sagt Sandig. Das Tanztheater spielt zwar knapp 50 Prozent der Schaubühnen-Einnahmen ein, bekommt aber nur 30 Prozent des Etats. Daher streben Waltz und Sandig organisatorische Unabhängigkeit innerhalb der Schaubühne an. Sie wollen über die Einnahmen aus ihren Gastspielen selbst verfügen. „Der ewige Kampf zwischen Tanz und Schauspiel um die viel zu knappen Mittel muss endlich beendet werden“, so Sandig zum Tagesspiegel. Genau das steht der immer noch gemeinsamen künstlerischen Leitung nun bevor: der finale Showdown ums Geld. Vielleicht auch eine Chance, den Fall zu klären?

Die Lage verschärft sich durch die Forderung von Waltz und Sandig nach einer Aufstockung ihres überbeanspruchten Ensembles von derzeit 12 auf mindestens 22 Tänzer. Auch dies ist allgemein anerkannt, würde aber noch einmal mit rund 600 000 Euro zu Buche schlagen. Damit erhöht sich der Fehlbedarf auf zwei Millionen Euro – eine derzeit vollkommen utopische Summe.

Vorsorglich hat Schaubühnen-Direktor Schitthelm die Verträge von Waltz und Sandig über den Sommer 2005 hinaus nicht verlängert, während Ostermeier nach dem augenblicklichen Stand bis 2006 bleibt. Die Nichtverlängerung der Tanz-Chefs sollte einer neuen Kooperation von Tanz und Schauspiel Raum geben. Wie sich die Parteien unter dem Druck des Senats einigen wollen, ist momentan nicht zu erkennen. Bleibt Sasha Waltz, dann wohl nur unter Bedingungen, die kaum besser, eher schlechter sind als bisher. Wer verzichtet worauf? Werfen die Tänzer das Handtuch, wäre die Schaubühne insgesamt schwer geschädigt. Wer sich bewegt, verliert. Wer nicht, verliert am Ende noch mehr.

Rüdiger Schaper

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