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Liebt Musik und Logik. Der 26-jährige Schauspieler Moritz Gottwald.

© Doris Spiekermann-Klaas

Schauspieltalent Moritz Gottwald: Der Dauerspieler

Vor der Premiere von „Kasimir und Karoline“: Moritz Gottwald ist derzeit das spannendste junge Talent an der Schaubühne.

„Was macht man mit einem Typen, der immer nur rumnörgelt?“ Das ist die Frage, die Moritz Gottwald im Moment umtreibt. „Nach drei Minuten denkt man doch, okay, ich hab’s verstanden, du leidest. Komm mal drüber weg!“ Die endgültige Antwort sucht er noch. Er hat es mit einem Egozentriker zu tun, einem Jammerlappen. Mit Kasimir, dem abgewickelten Chauffeur aus Ödön von Horváths berühmtem Volksstück. Schlechte Laune liegt Gottwald nicht. Verweigerung auch nicht. Schon eher der komisch verdrechselte Sprachfetischismus, mit dem Kasimir im Streit mit der Verlobten Karoline seine Standpunkte klarzumachen versucht: „Hier dreht es sich doch überhaupt nicht um deine Achterbahn, sondern um dein unqualifizierbares Benehmen, indem dass du mich angelogen hast.“ Solche Sätze mag der Schauspieler. Die zitiert er beim Treffen in einem Café nahe der Schaubühne mit Lust und lässt sie klingen wie eben über dem Milchkaffee erfunden.

Es geht auf die Endprobenphase zu. Gerade erst wurde das Bühnenbild verworfen und ein neues gebaut. Seit Probenbeginn hatte Gottwald kaum einen Tag frei, zwischendrin ist er mit Thomas Ostermeiers „Volksfeind“-Inszenierung getourt, in der er den zwischen Idealismus und Karriere schwankenden Jungredakteur Billing spielt. Abends stand er mit dem Familienwirtschaftskrimi „Die kleinen Füchse“ auf der Bühne, wo er sich als Youngster zwischen Größen wie Nina Hoss oder Mark Waschke behauptet. Volles Programm, Chaos und viel, viel Stress. Und trotzdem – seltsam eigentlich – hat man überhaupt nicht den leisesten Zweifel, dass dieser gerade mal 26-jährige schlaksige Bursche am Ende einen großartigen Kasimir abgeben wird.

„Gottwald ist unverschämt begabt“, sagt Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier über sein Ensemblemitglied. Eine wahnsinnig schnelle Auffassungsgabe habe der Junge. Und eine Leidenschaft für Tempo auf der Bühne. Auch selten. Und: Ein begnadeter Komiker sei er, könne singen, tanzen und vor allem: „saugut spielen“.

Die Musik ist, neben der Schauspielerei, die Konstante in Gottwalds Leben.

Schon aus der Ferne habe er den Kollegen interessant gefunden, erzählt Lars Eidinger. Ein leicht autistisch wirkender Typ, der im Café der Schaubühne immer mit Kopfhörern auf den Ohren herumstand, aber freundlich grüßte. Er hat ihn dann in seiner „Romeo und Julia“-Inszenierung als Lover besetzt. Auf den ersten Blick nicht naheliegend. Auf den zweiten aber passend. Weil Frauen durchaus auf solche smarten, etwas nerdigen Burschen stehen. Was Eidinger gleich auffiel, als er Gottwald zum ersten Mal auf der Bühne sah, in einer kleinen Rolle in Marius von Mayenburgs „Märtyrer“: „Moritz hat einen ganz direkten Ton. Bei ihm wirkt es nie, als ob er Text aufsagt.“ Was an seiner Musikalität liege.

Kasimirs Song stammt von den Counting Crows. „Anna Begins“. Gottwald hat ihn ausgewählt „wegen der Wehleidigkeit. Und wegen Liebe“. And every time she sneezes I believe it’s love, and oh lord, I’m not ready for this sort of thing. Für jede Rolle, die er spielt, stellt er sich einen Soundtrack zusammen. Mit den Songs ruft er vor der Vorstellung die passende Stimmung ab, sie funktionieren als Gefühlsgedächtnis für die Figur. Ohne Musik läuft bei ihm nichts. In Musik, bringt es Gottwald auf den Punkt, könne man sich verlieben. „Sie verändert sich nie und ist dir nicht böse, wenn du sie mal drei Wochen nicht hörst.“

Sein Vater ist Gitarrist, er spielt Jazz, Country und Rock ’n’ Roll in verschiedenen Bands, wirkt auch an Theaterprojekten mit. Die Musik war zu Hause immer präsent. Sie ist, neben der Schauspielerei, die Konstante in Gottwalds Leben.

Als Kind war er hyperaktiv. „Bin ich immer noch ein bisschen, aber früher war es viel schlimmer“, sagt er. Also suchten die Eltern nach Wegen, die überschießende Energie ihres Sohnes zu kanalisieren. Er hat Volleyball gespielt, auch Fußball, was allerdings nicht sein Sport ist, „zu archaisch, zu wenig Denken“. Er wurde zum Karate- und zum Schwimmtraining geschickt, hat lange durchaus beglückt Paartanz getanzt. Aber alles immer nur so lange, bis es zum Stundenplan wurde und der freiwillige Spaß weg war.

Die Schauspielerei begleitet ihn dagegen seit der ersten Klasse. Da spielte er ein Teufelchen beim Sommernachtsball seiner Grundschule und erlebte vor 350 Leuten den irren Energieschub, in den Lampenfieber umschlagen kann. „Ist auch rein biochemisch erklärbar“, sagt Gottwald, „weil im Gehirn das gleiche Areal für Aufregung und Courage zuständig ist.“ Könne zu einem sehr befreienden „Jetzt-ist-alles-egal-Effekt“ führen. Ein Kick, den sich Gottwald schließlich fast zehn Jahre lang beim Theatersport in seiner Geburtsstadt Halle holte. Impro-Kunst. Und der Grund, weshalb er 2011 an die Schaubühne engagiert wurde.

Beim Theatersport gibt es eine Disziplin, die Zeit-Replay heißt. Man spielt eine Szene in einer Minute. Dann die gleiche in 30 Sekunden, zehn, schließlich fünf Sekunden. Als Ostermeier bei Gottwalds Vorsprechen davon hörte, war seine Neugier geweckt. „Dann mach das doch mal.“ Gottwald lächelt. Zwischen Ostermeier und ihm bestünde eine spezielle Dynamik, sagt er. Wenn der Chef so dasäße und ihn herausfordere, „das triggert was in mir“. Gottwald war auf Replay nicht vorbereitet, aber entgegnete nur: Okay. Dann brauch ich eine Stoppuhr. Und performte eine Szene aus seinem Lieblingsstück „Klamms Krieg“ von Kai Hensel.

„Den muss man immer beschäftigen, der fühlt sich schnell unterfordert.“

„Das hat den Ausschlag gegeben“, sagt Ostermeier. Es gebe nicht viele Schauspieler, die dramaturgisch so fit seien, dass sie die Essenz eines Textes in fünf Sekunden packen könnten. Er sagt über Gottwald auch: „Den muss man immer beschäftigen, der fühlt sich schnell unterfordert.“ Während der Endproben zu Lilian Hellmans „Die kleinen Füchse“ hatte Gottwald oft mehrere Stunden Pause. Schrecklich. Über die Zeit halfen ihm Videospiele.

„MMORPGs“. Massive Multiplayer Online Roleplay Games, die liebe er, so Gottwald. Wenn er davon erzählt, versteht man nicht viel. Nur, dass es um Systematik geht. „Ich bin ein Logik- und Effizienzfanatiker“, sagt der Schauspieler. Als er die Bewerbungsfrist an der Ernst-Busch-Schule versäumt hatte, studierte er ein Jahr lang Mathe. Er bekommt einen Zauberwürfel in unter einer Minute hin (was er für keine große Sache hält). Und in größeren Runden rechnet er zum Spaß aus, wie oft es ‚Kling‘ macht, wenn jeder mit jedem anstößt. Er sagt es irgendwann selbst: eigentlich ein Widerspruch. Logik zu lieben. Und das Theater, wo es keine verlässlichen Gesetzmäßigkeiten gibt.

Gottwald beschreibt dann noch eine Begebenheit aus der Endprobenphase zu „Romeo und Julia“. Psychisch wie physisch eine extrem fordernde Zeit. Ein Heulkrampf nachts im Taxi aus Erschöpfung kommen in der Geschichte vor und ein blockierter Rückenwirbel, der ihn am Tag der Generalprobe in die Notaufnahme trieb. Wenn man ihn dann aber fragt, was in so einer Krise helfe, entgegnet er: „Spielen.“

„Kasimir und Karoline“-Premiere: 6. November, 20 Uhr, Schaubühne am Lehniner Platz. Wieder: 21. bis 24. November

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