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© dpa

Schelmische Grandezza: Der Traumlogiker

Der Abenteuerschriftsteller Ernst Augustin feiert 80. Geburtstag. Er wählte den Weg eines Außenseiters des literarischen Lebens. Seine Komik ist bestechend scharf und einzigartig.

Über seinen dritten Roman „Mamma“ sagte er schon vor einigen Jahren, der Text müsse „erheblich entfettet werden“. Jetzt hat Ernst Augustin seine Ankündigung wahr gemacht und „Mamma“ zu „Schönes Abendland“ (C.H. Beck Verlag, 439 Seiten, 22,90 €) umgeschrieben. Derlei Renovierungsarbeiten sind ihm auch als Hausherr eines efeuumrankten Altbaus im Münchner Westen vertraut. Ob er für Um- und Einbauten sorgte oder seine Frau Inge Malereien im Trompe- l'œil-Stil anfertigte – alles gerät ihm zum lebenden Roman.

Nach den Lorbeeren für sein Debüt „Der Kopf“ von 1962 und die verhaltener aufgenommene Hochstaplersaga „Das Badehaus“ ereignete sich mit „Mamma“ 1970 ein großes Missverständnis: Das Buch wurde als beliebige Pop-Art-Phantasmagorie gelesen. Dabei hatte Ernst Augustin, als er 1966 auf der Tagung der Gruppe 47 in Princeton aus dem Manuskript las, „meine drei Stunden Ruhm“ ernten können, wie er sich nicht ohne Ironie erinnert – bis der junge Peter Handke mit einer Schimpfkanonade alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Mamma“ beziehungsweise „Schönes Abendland“ erzählt wie so oft im Dreischritt: Stani, der Kaufmann, Kulle, der General, und Beffchen, der schneidige Chirurg, machen sich als Drillinge schon im Geburtskanal Konkurrenz. In artistischer Verdreifachung scheint eine überbordende, hochkomische Sittengeschichte des Abendlands auf.

Mit der Arbeit an „Der Kopf“, von Hans Magnus Enzensberger als „bodenloser Scherz, der seinesgleichen sucht“ gerühmt, hatte Augustin noch in Afghanistan begonnen. Dort leitete er nach seiner Ausbildung zum Facharzt an der Charité und anschließender „Republikflucht“ drei Jahre lang ein amerikanisches Krankenhaus. „In der Psychiatrie gibt es fast keine Heilungserfolge, nur die Diagnose und die darauf folgende medikamentöse Zwangsjacke. Das ist mir zu unbefriedigend“, sagt Augustin. Aus diesem Unbehagen heraus entstanden Romane wie „Raumlicht: Der Fall Evelyne B.“, die Heilungsgeschichte einer Schizophrenie. Seine Erfahrungen als psychiatrischer Gutachter bei einem Geldfälscher-Prozess verwertete er amüsant im Roman „Gutes Geld“. Mit dem Bekenntnis „So möchtest du selber schreiben können“ überreichte ihm 1989 Adolf Muschg den Kleist-Preis. Gleichwohl ist der aus Hirschberg stammende Schlesier ein Außenseiter des literarischen Lebens geblieben, und das offenbar nicht ungern.

1961 nahm Ernst Augustin aus Afghanistan kommend das beinahe „indische“ Münchner Leuchten, das „Freigelände im Föhneinfluss“ zum ersten Mal wahr – und blieb. Traumhafte Ambivalenz und eine herrlich plastische Sprache sind seine Markenzeichen, aktuell zu erleben anhand der Jubiläumsausgabe (und der Lesungs-CD „Goldene Zeiten“) zu seinem heutigen 80. Geburtstag. Die Ausgabe enthält unter anderem „Die Schule der Nackten“ von 2003, eine Geschichte von erwachender Liebe und jähem Tod im Soziotop eines Münchner Freibads, in der auch eine Tantra-Gruppe eine unrühmliche Rolle spielt. Die Auseinandersetzung mit den grassierenden Selbsthilfegruppen prägte bereits den London-Roman „Eastend“ von 1982.

Im Werk dieses Abenteuerschriftstellers wandern die Zeiten, die Träume, die Kontinente. „Schwimme mit leichtem Körper still im Lichtgrünen“, lässt der vermeintliche Holländer Eddy aus dem Roman „Das Badehaus“ verlauten, den sein Verfasser letztes Jahr zu „Badehaus II“ entschlackte. Falsche Väter, Brüder und Söhne, die Frappanz erfundener Lebensläufe: all das orchestriert Ernst Augustin mit schelmischer Grandezza.

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