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Schenken macht glücklich: Sammlerpaar Pietzsch vermacht Berlin Surrealisten-Kollektion

Große Bescherung: Das Sammlerpaar Ulla und Heiner Pietzsch schenkt Berlin seine Surrealisten-Kollektion mit 150 Werken. Die Dauerleihgabe ist aber an Bedingungen geknüpft.

Wilde „Bilderträume“ hatte im vergangenen Jahr die Neue Nationalgalerie geträumt. Zweihundert solcher Träume hingen an den Wänden im Kellergeschoss des Mies van der Rohe-Baus. Mit diesem vielsagenden Titel war die Ausstellung der Sammlung von Ulla und Heiner Pietzsch überschrieben: surrealistische Kunst, Werke der abstrakten Expressionisten, Magritte, Max Ernst und Miró sowie frühe Papierarbeiten von Jackson Pollock, Mark Rothko und Barnett Newman.

Nun ist der große Bildertraum Wirklichkeit geworden – fast. Am Freitag unterschrieb das Berliner Sammlerpaar den Schenkungsvertrag mit dem Regierenden Bürgermeister im Roten Rathaus. Anschließend stellten sich die Pietzschs den weiterhin offenen Fragen, denn vorerst wird der Bilderschatz für die Staatlichen Museen im Schlummerzustand verharren. Die Dauerleihgabe via Land Berlin an die Staatlichen Museen ist an Bedingungen geknüpft. Erst mit deren Erfüllung – dem Tod des kinderlosen Paares und der Gewährleistung einer öffentlichen Präsentation der Bilder – geht sie in die Hände der Kuratoren über. Beides erscheint legitim.

Leicht haben es sich die Eheleute nicht gemacht mit diesem Schritt. Zunächst war da die Scheu, sich ebenfalls in die Schlange der Sammler einzureihen, die in Berliner Ausstellungshäusern zu sehen sind. „Jetzt kommt auch noch der Pietzsch“, imaginierte am Freitag der Sammler laut die vermeintlichen Gedanken der Museumsleute. Doch weit gefehlt. Die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie war nicht zuletzt Teil einer Strategie, die Werke stärker an die Neue Nationalgalerie zu binden, da sie sich perfekt in den Bestand einfügen und gerade beim Surrealismus Lücken schließen würden.

Die fast 200 000 Ausstellungsbesucher innerhalb von sieben Monaten leisteten letzte Überzeugungsarbeit dafür, dass die Bilder nicht wieder im Privathaus des Paares verschwinden dürften, zugänglich nur für geladene Gäste. Bis zuletzt hatte Pietzsch befürchtet, die Ausstellung könnte sich als Flop erweisen. Doch das Hochgefühl, Menschen mit ihrer Kollektion erfreuen zu können, wie es Ulla Pietzsch gestern beschrieb, öffnete endgültig die Pforten zu den Herzen der Besitzer. So gaben sie dem vereinten Drängen von Stiftungspräsident Hermann Parzinger, Generaldirektor Michael Eissenhauer und Nationalgalerie-Chef Udo Kittelmann schließlich nach. Ins Hintertreffen gerät nun Dresden, wo die Sammlung etliche Jahre zuvor erstmals im Albertinum zu sehen war und ebenfalls Begehrlichkeiten weckte. Die Geburtsstadt von Heiner Pietzsch durfte sich lange Zeit Hoffnung machen.

Am Ende fiel die Entscheidung zugunsten von Berlin. Denn hier fand Pietzsch, der Anfang der Fünfziger als Elektrolehrling aus Sachsen nach Berlin gekommen war, sein Glück, hier machte er im Baustoffhandel sein Vermögen. Und hier entdeckte er die Kunst für sich: Ein Blatt von Gerhard Altenbourg, erworben in der Galerie von Rudolf Springer, markierte den Anfang.

Nicht alle Werke gehen in die Berliner Schenkung ein. Zwei Bilder und eine Skulptur wurden noch zuletzt für Dresden als Trost bestimmt. Doch die Berliner Gabe ist groß und großzügig; sie umfasst rund 150 Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen mit einem Schätzwert von 120 Millionen Euro. In seiner Dankesrede nannte Klaus Wowereit das Ehepaar ein Vorbild für das engagierte Bürgertum Berlins. Erst mit dem Tod des 80-jährigen Kaufmannes und seiner 76-jährigen Frau wird die Schenkung wirksam sein. Vermutlich sogar eher noch, wenn einer der beiden Partner stirbt, da sich dann das große Haus im Grunewald nicht mehr halten lassen wird, wie Pietzsch gestern verriet. Beide wollen mit den Bildern, die sie ihre „Kinder“ nennen, noch so lange wie möglich zusammenleben.

Aus Sorge um deren auch künftig adäquate Unterbringung („Schließlich verlieren die Werke ihre Heimat!“) haben die Eheleute ihre Schenkung an eine weitere Voraussetzung geknüpft, die für die Staatlichen Museen eine echte Herausforderung darstellt. Die dauerhafte Präsentation der Sammlung muss gesichert sein. Das Depot, die Dunkelheit des Archivs wäre eine „Beleidigung der Bilder“, so Pietzsch. Diese strenge Auflage gilt zumindest für den signifikanten Teil der Sammlung, wie es im Schenkungsvertrag heißt, den Peter Raue als Notar und Pietzsch-Vertrauter aufgesetzt hat. Beide, Pietzsch als Schatzmeister und Raue als Vorsitzender, gehören zu den Gründungsmitgliedern des Vereins der Freunde der Neuen Nationalgalerie. Hier schließt sich ein Kreis, denn das Wohl der Neuen Nationalgalerie, nicht nur das der eigenen Bilder, hat auch Pietzsch im Blick. Die von ihm diktierte Voraussetzung ist gegenwärtig im Mies van der Rohe-Bau kaum zu erfüllen. So wurde in den letzten Jahren die eigene Sammlungspräsentation immer wieder für Wechselausstellungen weggeräumt. Auch die jetzige Bestandsschau „Moderne Zeiten“ zeigt nur einen kleinen Ausschnitt.

Von den zusätzlichen 1300 Quadratmetern unterirdischer Nutzfläche, die Mies van der Rohe für die Neue Nationalgalerie einst plante, die aber nie baulich ausgeführt worden sind, ist nun keine Rede mehr. Noch Anfang des Jahres schien dies der bestmögliche Platz für die Pietzsch-Sammlung zu sein. Dafür hat das Museum des 20. Jahrhunderts in den Räumen der Gemäldegalerie nebenan wieder Priorität gewonnen. Die Rochade kann allerdings nur vollzogen werden, wenn die Sammlung Alter Meister in einen Neubau nahe der Museumsinsel umzieht, um darin Malerei und Skulptur aus dem Bodemuseum zu vereinen. Der Masterplan der Staatlichen Museen, der eine Schwerpunktsetzung für das 20. Jahrhundert am Kulturforum vorsieht, hat mit der mäzenatischen Gabe des Sammlerpaares wieder Schwung bekommen. „Wenn die Schenkung dazu führt, dass Berlin ein Museum des 20. Jahrhunderts bekommt, dann könnte ich recht zufrieden in die Kiste steigen,“ erklärte Heiner Pietzsch gestern launig.

Die Staatlichen Museen haben sich mit der Annahme der Schenkung selbst in den schönsten Zugzwang begeben. Denn der Vertrag mit dem Land Berlin ist zwar perfekt, doch die Dauerleihgabe wird an die Staatlichen Museen erst ergehen, wenn das Bausignal erklingt; sprich: der Bund die Mittel für den Neubau der Gemäldegalerie freigibt. So können Jahre noch vergehen, bis die Kollektion Pietzsch tatsächlich fest zur Schausammlung der Kunst des 20. Jahrhunderts gehört.

Für die Pietzschs allerdings war es höchste Zeit, die Unterbringung ihrer Schätze zu sichern. Wie sie sich dann in der Neuen Nationalgalerie künftig darstellen, bleibt den Kuratoren überlassen. Die Großherzigkeit der Donatoren geht sogar so weit, dass Werke der sogenannten dritten Kategorie veräußert werden dürfen, damit der Direktor neue Kunst erwerben kann. Das gilt allerdings nicht für den Komplex der Surrealisten und jene rare Serie an frühen Blättern der Abstrakten Expressionisten. In ihrer Gesamtheit sind sie eine Rarität, auseinandergerissen nur noch ein Bruchteil wert. Berlin bleiben sie damit erhalten.

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