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Kultur: Scherben bringen Unglück

Wettbewerb (2): David Mackenzies „Asylum“ erzählt von Begehren, Eifersucht und Einsamkeit

Ein anderes Jahrhundert. Es ist die Zeit, in der Ehefrauen grundsätzlich nicht arbeiten gingen und stattdessen allenfalls gruppenweise im Blümchenmusterkleid Betriebsfeste ihrer Ehemänner organisierten. Es ist die Zeit älterer Haushälterinnen, die eben jenen Ehefrauen so eingehend zur Hand gingen, dass sie jedwede Hilfestellung stets freundlich abzulehnen hatten. Es ist aber auch die Zeit, in der Ehefrauen, die vor lauter Unerfülltheit an der Seite ihrer überbeschäftigten Ehemänner zu Ehebrecherinnen geworden waren, hinter Gittern landeten – bis ihre Männer mit verfinsterter Miene im Revier erschienen, um sie heimzuführen in die Ehehölle.

Wir sind im stickigen England der Fünfzigerjahre: In dunklen Grün- und Grautönen schummert es uns entgegen, ein bisschen so, wie wir es derzeit im Kino in Mike Leighs „Vera Drake“ schaudernd bewundern können. Eine psychiatrische Anstalt auf dem Lande, ein Schloss mit Riegeln: Gerade ist die schöne, vor lauter ungestilltem Lebens- und Liebesdurst müde gewordene Stella (Natasha Richardson) mit ihrem Mann Max (Hugh Bonneville) hergezogen, der hier als Arzt Karriere machen soll, und einen kleinen Sohn haben sie auch. Doch schon verliebt sich Stella in Edgar (Marton Csokas), einen Bildhauer, der im Auftrag der Klinik das ramponierte Gartenhaus restaurieren soll. Der Erstbeste ist der Erstschlechteste auch: Denn Edgar, zugleich Klinikinsasse, hat vor sechs Jahren seine Frau aus Eifersucht bestialisch ermordet. Arme Stella – kaum hat sie ihr Leben gewonnen, droht sie es nun tatsächlich zu verlieren.

David Mackenzie erzählt in seinem dritten Film „Asylum“ von Egomanie und Einsamkeit, von Seelenblindheit und sexuellem Feuer, von Macht und – vor allem – von Gefangenschaft. Schon wie das Ehepaar abends mit der Taschenlampe erstmals Haus und Garten inspiziert und Max angesichts der zertrümmerten Scheiben des Gartenhäuschen mit fast tonloser Entschiedenheit „We should get this repared“ herausbringt, worauf seine Frau nur „hm“ sagt und der Lichtkegel ihr halberloschenes Gesicht erfasst: In der starken Eingangsszene ist alles über die Klaustrophobie eines Ehegefängnisses gesagt – und die arg dünne Hoffnung, es irgendwohin zu überwinden. Und wie Edgar Stellas frischen Lippenstift – was für ein Rot! – beiseite wischt über die Wange, um sich alsdann stumm auf die sich stumm Darbietende zu stürzen: Solchen erotisch-atemlosen Ausbruchsfuror haben wir auf der Leinwand vielleicht zum letzten Mal bei Jack Nicholson und Jessica Lange in „The Postman Always Rings Twice“ gesehen. Stella und Edgar sind Gefangene der Ehe, der Klinik und ihres Geheimnisses. Und Max ist, zumindest zu Anfang, Geisel seines beruflichen Ehrgeizes. Die schrittweise Auslöschung des Menschen zu Lebzeiten: Sowas pflegt zumindest im Kino nur selten undramatisch auszugehen.

„Asylum“ ist, was Kameraführung und Ausstattung betrifft, durchgängig eine Augenweide, und auch das Drehbuch des britischen Theaterautors Patrick Marber, der zuletzt die furiosen Dialoge von „Hautnah“ entwarf, verzichtet auf jedes überflüssige Wort. Und doch stellt sich mitten im sorgfältigen Dekor und erlesenen Spiel bald Erzähl- und Blickroutine, ja, eine Art Langeweile ein – obwohl das Drama durchaus ereignisreich und schließlich sogar ziemlich vertiginös seiner Vollendung entgegenstrebt. Irgendwann findet Stella für ihre vielfältigen Malaisen eine Lösung, bei der erneut Scherben eine Rolle spielen; und es ist von zumindest melancholisch zu nehmender Pikanterie, dass die drei Männer, die sie für ihre Zwecke benutzen wollten (auch Ian McKellen spielt als Anstaltsleiter eine finstere Rolle), am Ende lebens- und liebesleer ausgehen.

Was wird bleiben von diesem insgesamt gediegenen Film? Die Geschichte und Geschichten nicht, sondern Bilder. Vielleicht am längsten der Patientenball im Anstalts-Asylum: Einmal im Jahr dürfen Männer und Frauen in dieser Klinik zusammen, und es ist die traurigste Veranstaltung der Welt.

Heute 12 und 18.30 (Urania); 22.30 (International), dort auch 20. 2., 20 Uhr.

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