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Kultur: Schichten, schmeißen, hämmern

Zwei Mal Strawinskys „Sacre du printemps“

Fünf junge Fagottisten sitzen nebeneinander; man kann genau sehen, welcher von ihnen gleich das Eröffnungssolo von Strawinskys „Sacre du printemps“ spielen wird: Es ist der, der am aufgeregtesten ist, nervös am Jackett nestelt, noch mal sein Instrument testet, die anderen gar nicht wahrzunehmen scheint. Und er hat allen Grund: Die kurze Tonfolge ist verdammt schwer, nicht nur, weil sie in für Fagott qualvoll hoher Lage gesetzt ist, sondern auch, weil sie in die Stille hinein gespielt wird, gleich zu Beginn, wenn die Aufmerksamkeit besonders groß ist. Fehler hört jeder. Dann verrutscht prompt der erste Ton. Egal, Nerven behalten, weitermachen. Die Passage kehrt wenige Minuten später einen Halbton tiefer wieder: Kein Problem, dieses Mal.

Die Junge Deutsche Philharmonie spielt den „Sacre“ im Konzerthaus, zwei Tage später kommt das Konzerthausorchester an den gleichen Ort mit dem gleichen Stück – ein merkwürdiges Zusammentreffen. Und dann die Dirigenten: Beim ersten Mal Lothar Zagrosek, bis vor kurzem Chef des Konzerthausorchesters, dann sein Vorgänger Eliahu Inbal. Als Orchester und Publikum eine Schweigeminute für den eben verstorbenen Kurt Sanderling einlegen, der das Orchester in den sechziger und siebziger Jahren leitete, verschwimmen die Zeitebenen in der Stille völlig. Das passt zum Stück. „Sacre du printemps“ lässt sich nicht festnageln, blickt ganz weit zurück in archaische, barbarische Zeiten, in denen Mädchen dem Frühlingsgott geopfert werden, und reißt zugleich musikalische Fenster in die Zukunft auf, schichtet gemischte Dur- und Moll-Akkorde übereinander, schmeißt klassische Themenentwicklung über Bord, gibt sich dem Ostinato hin, dem hämmernd wiederholten Augenblick. Bei der Uraufführung 1913 in Paris soll es 30 Verletzte gegeben haben, berichtet Jean Cocteau.

Wie spielt man das? Expressiv-schreiend? Analytisch-kühl? Wirklich hitzköpfig sind beide Orchester nicht. Inbal gelingt insgesamt eine edlere Interpretation, reicher die Farben, gelassener die Balance zwischen den Stimmgruppen – wobei zu fragen wäre, ob es das ist, was „Sacre“ braucht. Es beginnt bei Inbal schon mit dem Fagottisten, der, anders als sein junger Kollege zuvor, sofort elegant und sanft ins Stück hineingleitet. Zagrosek und seine Junge Philharmonie gehen wesentlich härter an die Sache ran – was sich im vorangehenden B-Dur Klavierkonzert, dem letzten, das Mozart geschrieben hat, schon angekündigt hat. Solist Martin Helmchen muss dort streckenweise kämpfen, um hörbar zu bleiben. Die Affektkontrolle ist bei Inbal größer, unter Zagrosek gelingen allerdings die Orchesterschläge, denen plötzliche, schreiende Stille folgt und die so strukturbildend für das Stück sind, wesentlich besser. Inbal macht keine Pause zwischen den beiden Teilen, er lässt durchspielen, offensichtlich begreift er sie als untrennbare dramatische Einheit – worin ihm nicht jeder folgen mag. Der letzte Schlag, der Tod des Mädchens: bei Zagrosek ein Hammer, bei Inbal eher verhuscht. Dann der Applaus: Die Fagott-Solisten dürfen in beiden Fällen als Erstes aufstehen. Sie haben es sich auch verdient.

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