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Kultur: Schichtwechsel der Raumpfleger

Fanfare zum Abschied: Die Alte Nationalgalerie schließt ihre Pforten bis ins Jahr 2001VON NICOLA KUHNMenzel ade! Scheiden tut weh!

Fanfare zum Abschied: Die Alte Nationalgalerie schließt ihre Pforten bis ins Jahr 2001VON NICOLA KUHNMenzel ade! Scheiden tut weh! Aber die Alte Nationalgalerie macht, daß den Museumsbesuchern beim Abschied von denMeistern des 19.Jahrhunderts ebenfalls das Herze lacht.Nur noch bis zum 15.Februar ist der imposante Stüler-Bau auf der Museumsinsel dem Publikum zugänglich, bevor er vier Jahre lang für umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen (130 Millionen Mark) geschlossen wird.Doch mit Vorträgen, Führungen, musikalisch und literarisch begleiteten "Letzten Wanderungen" im Rahmen von "Schauplatz Museum" wird das farewell für Manet und Monet, für Schadow und Schinkel geradezu schmackhaft gemacht.Und über den größten Trennungsschmerz hinweg hilft außerdem, daß nicht alle Bilder bis zum Frühjahr 2001 den Blicken entzogen bleiben.Ab Mai sind die wichtigsten Werke im Obergeschoß des Alten Museums schon wieder zu sehen. Doch wie in diesen letzten Tagen wird die Alte Nationalgalerie wohl nie mehr zu erleben sein: im Zustand des Aufbruchs, einem animierenden Übergang zwischen Gestern, Heute und Morgen.Plötzlich werden dem Publikum Räume geöffnet, die es niemals zuvor betreten durfte.Unversehens erfährt der neugierige Besucher, wie es hinter den Kabinettwänden aussieht, die Justi zwischen 1911 und 1913 in die Skulpturenhalle des Erdgeschosses für Gemälde einziehen ließ.Gewaltige Säulen erheben sich hinter pappdünnen Wänden, der dunkelrote Granit erscheint merkwürdig weißlich überzogen, als ob Tauben in den letzten Jahrzehnten hier gehaust hätten.Und ein Schildchen warnt: "Nicht hier rausgehen.Auf der anderen Seite hängen Bilder". Aber auch in den Ausstellungsräumen selbst wirkt plötzlich alles anders.Fast spielerisch wurden die drei Geschosse neu eingerichtet, wurde noch einmal hergezeigt, was in den 120 Jahren alten Gemäuern, den reichen Depots steckt.So wird der Besucher gleich zu Anfang vor die charmante Auswahl gestellt, sich nach links den Männerrollen ("Trieb, Gewalt, Genie") oder rechts den Damen ("Mutter, Verführerin, Muse") zuzuwenden.Die Kuratoren hatten sichtlich ihre Freude, frech und frisch das Vorhandene neu zu kombinieren.Ein Schmunzeln ist deshalb beim Kapitel "Spätromantischer Lichtzauber" erlaubt, wo das Blau von Capris berühmter Grotte bis an die Grenze des Kitsches irisieren darf.Ganz ernst ist auch die Abteilung Stilleben ("Unbelebt lebendig") nicht gemeint, wenn sich neben Blumenstücken von Gottfried Wilhelm Völcker Menzels 1864 gemalte eigene "Hand mit Buch" befindet. Wie gut den Räumen auch Gegenwartskunst bekäme, erweist sich an der von Sigmar Polke beigesteuerten Copy-art.Der Maler zog Fotografien von Alter und Neuer Nationalgalerie sowie Hamburger Bahnhof höchst kunstvoll über den Kopierer; die Ergebnisse sind nun ihrerseits wieder Museumsobjekte.Gleich daneben blitzt und zuckt es: Die Baupläne des mit der Renovierung beauftragten Architekturbüros HG Merz jagen - sich gegenseitig überblendend - durch den Diaprojektor.Derweil dringen von außen Hammerschläge herein.Obwohl sich die alte Dame Nationalgalerie schon in den letzten Jahren äußerlich zu ihrem Vorteil entwickelt hat (die Kolonnaden wurden wieder freigestellt, die Freitreppe saniert, die Baucontainer auf dem Vorplatz gegen Bronzeskulpturen getauscht), bleibt an der kriegsbeschädigten Fassade weiterhin viel zu tun.Die Seiten sind bereits mit Abdeckplane überzogen. Doch während die Besucher im Innern ihren Lieblingsbildern und -skulpturen letzte Blicke in alter Umgebung noch schenken, ist der weitaus größere Sammlungsbestand längst außer Haus.In den vergangenen Wochen wurden die Depots geräumt, ihr kostbares Gut zum Großteil in die einstige Bleibe der Kunstbibliothek an der Jebensstraße geschafft.Wer genau hinschaut, entdeckt aber schon im Innern Spuren des Neuen.An Wänden und Türfassungen wurden probeweise Schichten abgetragen, um den originalen Farbzustand herauszuschälen.Die in der Nachkriegszeit in schlichtem Weiß gehaltene Kuppel etwa muß einst in Gold und Blau gestrahlt haben.Eine Ahnung, wie es damals war, bekommt der Besucher anhand historischer Fotografien, die nicht nur die alte Austattung dokumentieren, sondern augenzwinkernd auch "Kopistinnen vor einem Gemälde Böcklins" oder den "Schichtwechsel der Raumpfleger" aus dem Jahre 1897 präsentieren. Im obersten Stock staubt es bereits mächtig: Die aus der Casa Bartholdy in Rom nach Berlin überführten Nazarenerfresken werden vorsichtig aus der Wand gelöst.Sie müssen noch einmal wandern - diesmal nur wenige Meter Luftlinie ins Alte Museum.Hier oben werden sich auch die sichtbarsten Neuerungen vollziehen: Einst ungenutzte Lufträume wandeln sich in Ausstellungssäle für Caspar David Friedrich und Schinkel.Die beiden werden auch den Zug der Rückkehrer im Frühjahr 2001 anführen: als Vorhut einer durchaus romantischen Reise von einem Zustand in den anderen, von einer Zeit in die andere.Nur Abschiednehmen müssen sie dafür erst einmal. "Letzte Wanderungen" heute und am 14.Februar bei "Schauplatz Museum" (20 Uhr), Führungen sonntags (11 Uhr), Schlußvortrag 15.2.(19 Uhr) mit Hans Belting.

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