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Kultur: Schiffbruch am Schiffbauerdamm

Familienbande: Im Berliner Ensemble inszeniert Leander Haußmann Shakespeares „Sturm“ mit Ezard Haußmann als Prospero

Über Geschenke sollte man höflicherweise nicht reden. Zumindest als Gast bei einer Feier nichts sagen über den Geschmack des Schenkenden oder des Beschenkten. Ein wenig heikel wird das nur, wenn das Geschenk vor aller Augen ausgepackt wird – und von den Gästen bezahlt wurde.

Wären wir nach der Premiere des jüngsten Shakespeare-„Sturms“ im Berliner Ensemble jetzt alle glücklich, dann könnten wir jubeln: vor Bewunderung und Rührung. Denn was kann man einem schon in die Jahre gekommenen Schauspieler Schöneres wünschen und schenken als gerade den Prospero im „Sturm“! Der alte Magier mit der jungen Tochter, Herrscher auf einer Insel der wilden Lüfte und Musiken, das ist, wie sonst nur noch Shakespeares Lear, die Königsrolle „im Tal der Jahre“ (wie Meister William an anderer Stelle sagt). Und nun hat diese Rolle auch noch der Sohn dem Vater geschenkt, der Regisseur Leander Haußmann seinem Schöpfer Ezard Haußmann. Was als Leanders Arbeitsprinzip nicht völlig neu ist: Sehr gerne beschäftigt er den Papa in seinen Aufführungen (nur Mutter Haußmann machte diesmal nicht die Kostüme).

Das sage ich hier mit dem Unterton: der Sympathie. Wo haben wir heute, zumal unter Künstlern, noch intakte Familien?! Und Leander Haußmann hat bei mir ohnehin lebenslänglich Kredit – seit seinem Weimarer Wendezeit-„Sommernachtstraum“ mit der kreiselnden Reinhardtschen Zauberwald-Bühne; seit „Romeo und Julia“ in München, mit dem minutenlangen, rockmusikuntermalten Todeslauf des Mercutio; seit seinem hinreißenden Filmregisseurs-Debüt mit der „Sonnenallee“ (einer Komödie der Lubitsch-Klasse). Doch jetzt kommt das ungernegroße Aber: Den Prospero im „Sturm“, den muss man auch spielen können. Ohne ihn ist das Stück, ist eine Aufführung bloß die Hälfte wert.

Ezard Haußmann, ein hochgewachsener, gut aussehender Mann, schaut hier aus wie ein leicht zerzauster Karajan, den Zauberstab als Taktstock in der Hand, als Maestro hochgeknöpft in elegantem Schwarz, nach der Pause gar mit einem schwarzen Opernmantel angetan und weißem Künstlerschal. So also stellt man sich nach Jahren der Verbannung einen durch Heimtücke gestürzten Herzog vor, der auf einem wilden Eiland am Lagerfeuer mit seiner zivilisationsfernen Tochter haust? Ein Büchernarr, ein Zauberer aus Überlebensnot. Das alles aber spielt Haußmann nicht: nicht den Flüchtling, nicht den Intellektuellen, nicht den Magier – dessen Stab hält er so, als hätte er weder von einem Dirigenten noch vom Anbruch der Harry-Potter-Zeiten je gehört. Und wir im Zuschauerraum hören ihn oft nicht, vernehmen bei dem ohnehin nicht textsicheren Spieler mitunter nur vernuschelte Endsilben, verschluckte Halbsätze. Ezard Haußmann posiert, meist frontal zum Publikum sitzend oder stehend; kaum eine Beziehung entsteht so zu den Mitspielern, und keine lebendige, widerspruchsreiche Shakespeare-Figur.

Es ist ja auch eine wunderliche Komödie. Doch Leander Haußmanns Talent für die feinen Slapsticks blitzt an diesem mitunter hübschelnden, niemals wagemutigen oder überraschenden Abend nur sekundenweise auf: wenn der im Sturm gestrandete Königssohn Ferdinand (Dirk Ossig) der struwwelpetrahaften Prospero-Tochter Miranda (Annika Kuhl) im knackenden Schilfrohr eine märchenhafte See-Rose bricht und die am Rohr und am Meer nicht vorhandenen Dornen mit nun doch blutenden Händen „abstreift“. Das ist eine Imagination, da wird dann tatsächlich etwas erspielt. Und nicht bloß markiert.

Im Übrigen sind wir noch immer im Berliner und nicht im Buxtehuder Ensemble, und bei einem „Sturm“ im Hauptstadttheater gilt nun mal keine Windstille. Beim „Sturm“ spielt man Welttheater, Champions League, nicht Zweite Liga. Doch all die großen und halb großen „Stürme“ von Kortner und Strehler, von Peter Brooke mit dem fabelhaften (am BE befindlichen) David Bennent als Caliban, von Claus Peymann in Wien mit Gert Voss als Prospero, von Dieter Dorn in München mit Thomas Holtzmann – sie sind hier wie auf anderen Sternen verrauscht. Einzig noch Steffi Kühnerts Luftgeist Ariel ist bei Haußmann mehr als Maske, Kostüm und routinierte Pose. Die Hauptrolle spielt dagegen das geschickte, mit Videoprojektionen angereicherte und den Schiffbruch im grandiosen Schattenriss andeutende Bühnenbild von Hamster Damm. Dieser Name klingt nach einem fliegenden Holländer – und ist hier die schönste Erfindung.

Nächste Vorstellungen am: 28.11., 4. u. 6. 12.

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