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Schlacht bei Wittstock: Was die Toten uns erzählen

2007 wurde bei Wittstock ein militärisches Massengrab entdeckt. Dieses Grab aus dem 17. Jahrhundert wurde als Erstes überhaupt interdisziplinär erforscht – mit neuen Erkenntnissen über Schlachtverlauf und Alltag.

Langsam verstummten die Musketen. Die Schreie der Verwundeten wurden lauter, während das Klirren der Schwerter leiser wurde und der Mond das Grauen der Schlacht teilweise illuminierte. 2000 bis 3000 Soldaten hatten bei Wittstock ihr Leben verloren. Ganz Europa war vertreten: Schweden, Schotten, Spanier, Franzosen, Finnen, Polen, Österreicher und Deutsche jeglicher Herkunft lagen nach den blutigen Kämpfen auf dem Schlachtfeld verstreut und wurden dann, Seite an Seite, zusammen begraben. Es muss ein furchtbarer Anblick am nächsten Morgen gewesen sein, ein Zeugnis der Grausamkeit des Krieges und der Menschen, die an ihm teilnahmen. Kaum vorstellbar, dass am Tag davor die Landschaft südlich von Wittstock noch unbefleckt von Blut war, als Johan Banér, der schwedische Feldmarschall, seine Taktik aufstellte.

Es war ein riskanter Plan. Als sich die 19 000 bis 21 000 Mann starke schwedische Armee unter Banérs Leitung am 4. Oktober 1636 südlich von Wittstock aufstellte, hatte der schwedische Feldmarschall ein genauso mutiges wie waghalsiges Manöver erdacht. Die ihm entgegengestellte Kaiserlich-Sächsische Armee zählte 3000 bis 4000 Mann mehr und Banér war sich dieser numerischen Unterlegenheit bewusst. Durch seine Späher kannte der Feldmarschall die Position seiner Gegner. Die Truppen der Habsburger erwarteten, dass das schwedische Heer über die Hügelkette südlich von Wittstock marschieren würde und hatten daher ihre Artillerie gen Osten gerichtet aufgestellt. „Bisher nahm man an, dass sie ihre Kanonen gen Süden auf eine Sumpflandschaft richteten, ein unmöglicher Weg, den kein Feldherr je eingeschlagen hätte“ erzählt die Projektleiterin Sabine Eickhoff. Die massiven Geschütze, ungefähr 40 an der Zahl, waren so schwer, dass sie von Eseln und Pferden gezogen werden mussten. Die Wege, die extra für diesen Zweck angelegt wurden, kann man teilweise auch heute noch sehen. „Die Kaiserlich-Sächsiche Armee war deutlich besser aufgestellt, als man bisher annahm“ stellt Anja Grothe, die führende Archäologin des Massengrabs, fest.

Wie jeder gute Feldherr musste Banér in der feindlichen Position eine Schwachstelle finden und diese nutzen. Er entschied sich dazu, seine Armee aufzuteilen, um den Gegner von Süden und Norden zu flankieren. Er befahl seinen Generälen James King und Torsten Stalhanske, die Süd-Flanke des Gegners anzugreifen. Alexander Leslies Infanterie-Regiment und Johan Banér mit seinen Reitern sollten die Hügelkette von Norden umgehen.

Wie so oft im Krieg kam es anders als gedacht. Als der rechte Kavallerie-Flügel gerade die Hügelkette umging, wurde er an der Spitze von Kaiserlichen Truppen angegriffen. Schnell pfiffen die Kugeln über das Feld. Im Rahmen einer Karthografierung des Geländes wurden durch Metalldetektoren an dieser Stelle besonders viele Kugeln von Reiterpistolen gefunden, was darauf schließen lässt, dass die Infanterie wenig Zeit hatte, ihre Musketen abzufeuern. Nachdem die schwedischen Männer ihre Einlader verschossen hatten, ging es zum Nahkampf über. Die Männer zu Ross schlugen von ihren Pferden mit Reitschwertern auf die Infanterie ein und die Schützen zu Fuß wehrten sich wiederum mit ihren Fußknechtschwertern. Eickhoff erklärt weiter, dass „diese beiden Schwerttypen die Standard-Bewaffnung waren, aber es wurden auch einzelne Degen und Säbel geführt“. Für die Reiter waren die Pikeniere am gefährlichsten.

Leslies Regiment, welches den Reitern zu Hilfe eilte, wurde durch das laute Krachen der Artillerie, deren Kanonenkugeln nun rechts und links von ihnen aufschlugen, überrascht. Die zersplitterten Knochen der Skelette im Massengrab sind Zeuge der Wucht dieser Eisenkugeln. Der Beschuss verstummte bald, weil nun die kaiserliche Infanterie über die Hügel kam und man Verluste durch freundliches Feuer in den eigenen Reihen verhindern wollte. Südlich des ersten Aufeinandertreffens der verfeindeten Truppen entbrannte nun das größte Gefecht der Schlacht. Hier wurden deutlich weniger Gewehr- und Pistolenkugeln gefunden, was darauf schließen lässt, dass die geordneten Schützenreihen der Schweden schnell aufbrachen. Querschläger zischten über das Schlachtfeld, während die kaiserlichen Soldaten versuchten, die Verteidigungslinien Banérs zu durchbrechen.

Lange widerstanden Banérs Männer der Überzahl der Habsburger Truppen, so gut sie konnten. Die Schlacht zog sich bis zur Abenddämmerung hin und die numerische Überzahl der Kaiserlichen machte sich langsam bemerkbar. Einzelne Truppen flohen, während andere kaum noch die Kraft hatten, ihre Schwerter zu heben, als auf einmal die Flanke der Kaiserlichen von Kings Kavallerie aufgebrochen wurde. „Das Regiment war zu spät, da es auf dem Weg in mehrere Scharmützel verwickelt war und sich mehrmals verlaufen hatte, was aufgrund der schlechten Karten zu der Zeit nicht unüblich war“ erklärt Grothe. Die frischen Truppen verkleinerten den numerischen Vorteil der Kaiserlichen Armee. Die sich schon siegessicher glaubenden Truppen des Kaisers wurden von den angreifenden Reitern überrumpelt. Zusätzlich traf auch die schwedische Reserve ein. Deren Größe war der Kaiserlich-Sächsischen Führung unbekannt, weswegen sie sich entschlossen, noch in der Nacht zu fliehen.

Nun begann der grausamste Teil dieses nicht an Blutzoll mangelnden Tages. Die meisten Soldaten kamen bei der Verfolgung um, die Banér unerbittlich vorantrieb. Ingesamt forderte die Schlacht das Leben von etwa 8000 Männern und brachte den schwedischen Truppen wertvolle Kriegsbeute ein. Sie ergatterten nicht nur die Artillerie, die sie zuvor unter Beschuss genommen hatte und zahlreiche Vorräte, sondern auch den Kanzlei- und Silberwagen, der sowohl die Kriegskasse als auch höchst wichtige Korrespondenz enthielt. „Dies war eine symbolisch und materiell wertvolle Beute“ und die Schweden errangen einen spektakulären Sieg.

Der Krieg selbst tobte noch zwölf Jahre weiter, denn die letzte Schlacht war noch nicht geschlagen.

Malte Meissner

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