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Kultur: Schlafende Drachen wecken

"Der See selbst wechselt in rätselhaften Farben und Stimmungen. Bald blitzt er wie ein Smaragd, bald wird er blau wie ein Saphir und dann glitzern Amethyste im Ring mit der gewaltigen Einfassung von alten, schwarzen Tannen, die sich noch schwärzer im klaren Wasser spiegeln.

"Der See selbst wechselt in rätselhaften Farben und Stimmungen. Bald blitzt er wie ein Smaragd, bald wird er blau wie ein Saphir und dann glitzern Amethyste im Ring mit der gewaltigen Einfassung von alten, schwarzen Tannen, die sich noch schwärzer im klaren Wasser spiegeln." So beschreibt Lovis Corinth 1921 eine für ihn "bildschöne Gegend" im Südtiroler Hochgebirge. Insgesamt sechzehn Mal besucht er zwischen 1918 und 1925 den kleinen Ort Urfeld am Walchensee - und schafft trotz gesundheitlicher Probleme ein Alterswerk, das weit über seine Zeit hinaus wirken wird.

Bereits im 19. Jahrhundert hatten Künstler das Felsgebirge zwischen Jochberg, Herzogstand und Heimgarten mit seinen extremen Wetterverhältnissen für sich entdeckt. Gerade die melancholische Kargheit der Berglandschaft zog Dichter und Maler an. Auch Corinth faszinieren die Gegensätze von Schönheit und Gewalt der Berge. Schon beim zweiten Besuch erwirbt er ein Grundstück, auf dem ein Landhaus im bayerischen Stil gebaut wird; das "Haus Petermann" wird zum zweiten Wohnsitz der Familie.

Blitzendes Gelb, Strahlendes Blau

Über fünfzig Mal hat Corinth den geheimnisumwobenen See gemalt, von dem Sagen erzählen, er sei unterirdisch mit dem Meer verbunden und seine Berge würden auf einem schlafenden Drachen ruhen. Es entstehen Blumenstillleben, Selbstporträts, Aquarelle und mehrere Grafikmappen. Mit der vollständigen Mappe "Der Walchensee" aus den Jahren 1920 / 21 zeigt die aktuelle Ausstellung in der Galerie Pels-Leusden neben Radierungen und Lithographien sowie einer Auswahl großer Ölgemälde insgesamt 42 Arbeiten vom Walchensee - für Bernd Schultz, geschäftsführender Gesellschafter der Galerie und der Villa Grisebach, die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. An den großformatigen Landschaftsimpressionen fasziniert bis heute der virtuose und mutige Umgang des akademie geschulten Altmeisters mit der Farbe: Bei der "Mondnacht" aus dem Jahr 1924 ist sie pastos mit dem Spachtel aufgetragen, helles Gelb blitzt direkt neben dunklem Rot auf, strahlendes Blau wird zu Schwarz, mischt sich mit Grün und grellem Orange. Die Schnelligkeit, mit der Corinth im Atelier seine Sinneseindrücke auf die Leinwand brachte ist noch erspürbar, an mehreren Stellen schimmert die blanke Leinwand durch und wird gleichberechtigtes Element dieser zum Leuchten gebrachten Vollmondnacht.

Zart und durchscheinend sind dagegen die aquarellierten Blumensträuße, die in ihrer Leichtigkeit auch vom schnellen Vergehen künden. Waren frische Gartensträuße zwar der Ausgangspunkt für Corinths Gemälde und Aquarelle, symbolisierten sie für ihn das Leben selbst. Die Preise der Ölgemälde aus dieser Zeit gehen in die Millionen und selbst die der Zeichnungen und Aquarelle liegen weit über 50 000 Euro, der Großteil der Druckgrafik ist dagegen noch unter 10 000 Euro zu erwerben. Die Ausnahme ist ein Selbstbildnis von 1920 / 21. Die Kaltnadelradierung auf Bütten ist wohl ein Unikat und zeigt Corinth mit dem Zeichenstift (34 000 Euro). Zweifel liegt über dem Gesicht des Malers, sein Blick ist ins Leere gerichtet. Auch das zweite große Selbstbildnis in der Ausstellung, ein Ölgemälde aus dem Jahre 1920 (Leihgabe), spiegelt seine innere Verfassung wider und zeigt bei einem Farbspektrum von kräftigem Pink zu blassem Grün die Zerrissenheit des Malers, der sich gesundheitlich nie ganz von seinem schweren Schlaganfall 1911 erholte und mit zunehmenden Alter an Selbstzweifeln und Depressionen litt. Dabei war Corinth schon zu Lebzeiten überaus erfolgreich. Die gängige Vorstellung, dass herausragende Künstler zunächst unverstanden bleiben und erst die Nachwelt ihr Genie erkennt, widerspricht der Lebenslauf des 1858 im ostpreußischen Tapiau geboren Malers. Nach dem Studium in Königsberg und München wird er früh in Ausstellungen geehrt, mit knapp über vierzig war er im Vorstand der "Berliner Secession", 1911 wurde er Präsident der Künstlervereinigung.

Jeder wollte ein Bild

Auch die Kritik feierte seine Arbeiten und besonders begehrt waren die Walchenseebilder. "Jeder Berliner wollte ein Bild aus jener bayerischen Gebirgsecke besitzen" notierte Corinth während eines Sommeraufenthalts am See. Ihm selbst war diese Begeisterung suspekt: "Ob es wirklich künstlerische Arbeiten bleiben werden, muss die Zeit entscheiden". Sie hat für ihn entschieden, denn Corinth hat gerade in seinem Spätwerk ausgehend von der Anschauung der Natur eine eigene Wirklichkeit erschaffen und ist damit Vorreiter für den Expressionismus und letztlich die gesamte malerische Entwicklung des letzten Jahrhunderts geworden. Kurz vor seinem Tod schrieb er: "Zeichnen heißt weglassen! - Ein Neues habe ich gefunden: Die wahre Kunst ist, Unwirklichkeit üben. Das Höchste..."

Katrin Wittneven

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