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Kultur: Schlaflos im alten Europa

Die Komische Oper probt mit einer Sondervorstellung ihres „Don Giovanni“ die EU-Erweiterung

Donna Elvira kriegt den Mund nicht zu. Das Mätressenregister ihres Gatten entrollt sich schier endlos, bis an den Rand des Orchestergrabens. Diener Leporello präsentiert sie mit Stolz und Prahlerei: die Sex-Statistik seines Herren. Schon ein dickes Ding, wie es Don Giovanni nicht bloß in Sevilla getrieben haben soll: Sechshundertundvierzig waren’s allein in Italien, zweihundertunddreißig hat er in Deutschland verführt und tausendunddrei Frauen wurden gar – olé – in Spanien schwach. Ein Europa umspannendes Jagdrevier, wobei Mozart anno 1787 noch nichts von der EU-Erweiterung ahnen konnte. Zumindest in der neuen Besetzung von Peter Konwitschnys gefeierter Opern-Inszenierung schlagen sich die Namen der neuen EU-Länder nun nieder: Elvira stammt aus der Slowakei, Donna Anna wurde aus Polen nach Berlin gelockt, das Bauernmädchen Zerlina wird von einer Litauerin gesungen.

Die Initiative ging vom Team des Kulturjahrs der Zehn aus, wird von der Deutschen Bank Stiftung gefördert und an der Komischen Oper realisiert: In einer Sondervorstellung am Mittwoch werden acht junge Sänger aus sieben neuen Mitgliedsländern zu erleben sein. Am Ende einer Durchlaufprobe mit Klavierbegleitung sitzen die Talente erschöpft und glücklich am Bühnenrand und wirken, als wär’s das Ende einer schweißtreibenden Klassenfahrt nach Sevilla. Bühnenrivalen stecken tuschelnd die Köpfe zusammen, das Edelfräulein macht sich mit der Bäuerin über den Komturen lustig. Die Füße baumeln im Orchestergraben, die Ohren sind in Richtung Korrepetitor gespitzt. Der mäkelt noch über ausgelassene Noten und verschliffene Koloraturen, bevor Konwitschnys Regieassistent Arturo Gama seine gefürchtete Manöverkritik abhält. Der Meister selbst ließ sich während der Proben nicht blicken. Gama bleibt unerbittlich am Konwitschny-Konzept: Elvira soll „etwas hysterischer“, Giovanni da und dort „eine Spur lüsterner“ über die Rampe kommen. Und der tschechische Leporello muss noch das Wort „Wirtshaus“ üben.

Deutsche Sprache, schwere Sprache. An der Komischen Oper ist sie traditionellermaßen Pflichtprogramm und wird schon seit drei Monaten mit einer Extratrainerin geübt. Tenor Jussi Myllys aus Finnland, der sich nach Fjord und Sauna sehnt, muss einen besonderen Sprung ins kalte Wasser wagen: Weil Konwitschnys Inszenierung seinem Ottavio eine lange Sprechpassage zumutet – selbst für deutsche Sänger ein harter Brocken –, gab’s für Jussi Extraunterricht. Das Ergebnis ist verblüffend gut. Dazu verkörpert der Finne mit dem Kinnbärtchen den schüchternen Bräutigam von Donna Anna so überzeugend, dass einem der Klemmi auf der Bühne wirklich leid tut. Seine Favoritin, bürgerlicher Name: Marzena Michalowska berichtet am Rand der Probe, dass sie Annas Arien nur in Italienisch und in ihrer polnischen Muttersprache beherrschte. Inzwischen sind alle von ihrer guten deutschen Diktion begeistert.

Und Donna Annas Koloraturen? Kein Problem für Marzena. Sie hat allerdings mit einer anderen Höhenangst zu kämpfen: „Wenn ich am Orchestergraben stehe, steigt in mir die Panik hoch“, stöhnt die 26-Jährige. In den vergangenen fünf Wochen, seitdem die Proben im Gange sind, hat sie nicht mehr gut geschlafen. Auch auf Helena Szabóová springt zuweilen die Unruhe ihrer Elvira- Rolle über. „Einschlafen kann ich gut“, sagt sie, „aber ich schrecke nachts oft hoch und denke, jetzt musst du raus auf die Bühne“. Helena beschreibt die Gratwanderung ihrer Gesangsrolle: „Ich muss einerseits locker im Hals sein, andererseits soll mein Körper vor Spannung und Eifersucht vibrieren. Zu viel Ausdruck ist gefährlich für die Stimme.“

Arturo Gama weiß, was in den jungen Sängern vorgeht. Der Regieassistent kennt jedes Detail, jede Tücke der Inszenierung im Schlaf, schon weil er nach der Premiere vor zwei Jahren alle Wiederaufnahmeproben geleitet hat. „Dieser ‚Giovanni’ funktioniert wie ein Uhrwerk. Die Inszenierung sitzt perfekt auf jeder Note und lässt keine Improvisation der Sänger zu“, meint Gama. Weil gerade der erste Akt mit komplizierten Auftritten eine große Herausforderung für die Opern- Newcomer darstellt, war Gama froh, dass er die Abläufe auf der Probebühne mit einer echten Drehscheibe einstudieren konnte. Bei der Durchlaufprobe läuft alles wie am Schnürchen und der gestrenge Gama ist zufrieden.

Don Giovanni flattert im Verführer- Cape und entkleidet bis aufs Calvin- Klein-Gerippte über die Drehbühne, wälzt sich mit Leporello im Champagner- Arienrausch und lädt mit balsamischer Baritonstimme zur Opernorgie à la Konwitschny. Das Organ gehört dem Ungarn Maté Sólyom-Nagy. Er hat schon Opernerfahrungen in Budapest gesammelt und sieht das mit dem Ausziehen ganz locker: „Ich verstehe nicht, dass Darsteller mit dem Morden auf der Bühne kein Problem haben und sich dann zieren, wenn’s um Sex geht“, sagt er. „Im Kit-Kat-Club gehen doch ganz andere Sachen ab als in dieser Inszenierung.“

Marzena Michalowska tut sich da schwerer mit „so Sachen, die ich da oben machen muss“. Verständlich, denn Anna wird schon am Anfang von Giovanni flachgelegt und kastriert ihn dann am Schluss, da muss Marzena einen Kunstpenis aus dem Sexshop über die Bühne schleudern. Was ihre aus Polen anreisende Familie am Mittwoch zu Dildo, Dessous und Dackelstellung sagen wird, weiß sie nicht, obwohl sie alle schon vorgewarnt hat. Ihrem Bühnenverführer verdankt die Sopranistin viel: „Ohne Vertrauen zu Maté hätte ich die Sexszenen wohl nicht geschafft.“

Überhaupt ist unverkennbar zusammengewachsen, was nach EU-Norm inzwischen zusammengehört. Im Lauf der Probenwochen sind Freundschaften entstanden, man erkundet das Berliner Nachtleben oder joggt gemeinsam im Grunewald. Dieser Teamgeist durchweht auch die letzten Proben vor der ersehnten Aufführung. Ob Mann oder Weib – Mozarts „Don Giovanni“ kriegt sie schließlich alle.

Sondervorstellung von Mozarts Oper „Don Giovanni“ mit Sängern aus den neuen EU-Ländern, Inszenierung: Peter Konwitschny, Dirigent: Kirill Petrenko. Aufführung am Mittwoch, 6. Juli, um 19 Uhr an der Komischen Oper, Kartentelefon: (030) 479 974 00.

Jens Hinrichsen

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