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Kultur: Schlaflos in Mittelerde

Alle Jahre wieder: „Der Herr der Ringe“ – Teil 2 kommt zu Weihnachten ins Kino. Diesmal schickt Regisseur Peter Jackson die Zauberer und Hobbits in einen noch schlimmeren Krieg

Es beginnt medias in res. Peter Jackson macht einfach weiter, als hätten seine Zuschauer nur mal eben Popcorn geholt. Keine Rückblende, kein Buchstabenteppich, der in die Weite des Weltalls läuft. Gedächtnisstützen dieser Art seien ein Stilmittel des Fernsehens, sagt der Regisseur, wohl wissend, dass sein Werk die ganze Opulenz des Erlebnisraumes Kino ausspielt – und erst dann auf den lächerlichen Quadratzentimetern einer Flimmerkiste ankommt, wenn es das Ende der Verwertungskette erreicht hat. Bis dahin hat längst jeder Erdenbewohner die Orks in Dolby-Surround grunzen gehört.

Auch aus einem anderen Grund bedarf das kollektive Gedächtnis keiner Auffrischung: Pünktlich zum Start des zweiten Film-Teils des „Herrn der Ringe“ sind in allen Illustrierten Bild- und Textstrecken erschienen, die es an Umfang bald mit der Romanvorlage aufnehmen können. Wer seit letztem Dezember vergessen hat, warum wer auf wen einschlägt, findet in jedem Magazin eine kleine Tolkien-Volkshochschule – mit Landkarten, Erklärtexten, Personalien, Produktionsnotizen.

Inzwischen wissen wir: Wenn der weiße Bart von Gandalf über die Titelseiten rauscht, ist wieder ein Jahr vergangen. Aber Gandalf ist – noch – nicht der Weihnachtsmann. Der weise Zauberer hilft dem Hobbit Frodo, die Weltherrschaft des Bösen zu verhindern. Eine solche Heilsbotschaft gehört in den Dezember: Wenigstens die Zyklen des Unterhaltungsmarktes basieren auf christlichem Urgrund. Zwar wird im Winter auch gepottert, und der kleine Harry P. hat in vier Wochen allein sieben Millionen Besucher in die deutschen Kinos gezaubert. Doch die Lust an magischen Stoffen vereinigt alle Altersgruppen.

360 Grad-Schwenk im Galopp

Weihnachten – das war eine Story aus dem Analog-Zeitalter. Die allgemeine Fantasy-Sehnsucht geht soweit, dass bei der letzten Volkszählung in Australien angeblich 70000 Bürger als Religion „Jedi“ nannten. Zugegeben: In Australien kann sich kaum jemand an etwas erinnern, das vor 1980 passiert ist. Trotzdem deutet diese Zahl auf die – bislang eher spaßhafte – Hinwendung zum Obskuren. Die Wirklichkeit globaler Terror-Paranoia mag eine Ursache dafür sein.

Was erwartet den Realitätsflüchtling in dieser zweiten, abermals dreistündigen Verfilmung der Mutter aller Fantasy-Geschichten? Wieder Krieg. Aber wenigstens ein überschaubarer. Klar verteilte Positionen von Gut und Böse. Der Untertitel „Die zwei Türme“ soll der Produktionsfirma Kopfzerbrechen bereitet haben – wegen der Assoziation mit dem 11.September. Die Skrupel bei der Titelgebung haben nicht verhindert, dass ansonsten ein „letzter Krieg“ geführt wird. Das Böse will weiterhin die Herrschaft an sich reißen. Allein: Es fehlt der Ring, den der tapfere Frodo bei sich trägt. Und wieder wallen Gandalf, gespielt von Ian McKellen, und die anderen Gefährten durch Mittelerde, umtost von wagnerianischem Orchesterpomp, der allein schon rechtfertigen würde, die Trilogie einfach als den „Ring“ zu bezeichnen. Es geht durch flechtenbewachsenes Geröll, dunkle Wälder und weite Ebenen Neuseelands, die der dortselbst geborene Regisseur Peter Jackson mit 360-Grad-Fahrten um seine Figuren feiert, vorzugsweise, wenn diese im vollen Galopp daherpreschen.

Jackson hat für diese wesentlich actionhaltigere Folge, die zeitgleich mit den übrigen gedreht wurde, einen Trumpf im Ärmel, der auch hartnäckige Skeptiker erweichen muss: Er hört auf den Namen Smeagol und ist die schleimigste und bemitleidenswerteste Kreatur im Märchenland. Smeagol ist auch bekannt als „der Gollum“. Der Gollum soll Frodo nach Mordor führen – ein Satz wie dieser liest sich schon etwas gaga. Smeagol jedenfalls hat den Ring früher einmal besessen und irrt nun, halb kriechend, halb buckelnd, durch Mittelerde. Er ist ausgezehrt von der Macht – und süchtig nach ihr.

Bei der Gestaltung dachte man „an einen 60-jährigen Heroinabhängigen“, wie ein Special-Effects-Mann dem Magazin „Time“ erzählte. Das ist gelungen. Smeagols bleiche Haut wirkt zugleich pergamenten und aufgeschwemmt. Seinen knappen Schurz scheint er nur zu tragen, um der Kleiderordnung zu entsprechen. Smeagol wird von allen herumgeschubst – und treibt doch ein mieses kleines Spiel. Seine unterwürfige, zugleich geschmeidige Körpersprache ist ein Meilenstein der Tricktechnik. Aber nicht genug mit dem Aufwand, die Rolle von einem Menschen spielen zu lassen und dann mit Computerbildern zu übermalen: Wann zuvor erschien eine animierte Figur so plastisch – und wurde zudem so sorgfältig als Charakter ausgearbeitet? In einem schizophrenen Dialog mit sich selbst entwickelt Smeagol überraschende Tiefe und überflügelt mimisch sogar Hauptdarsteller Elijah Wood.

Eine Tiefe, die ansonsten durch raunendes,tümelndes Vokabular herbeizitiert wird. Alle wollen „große Taten“ vollbringen, selbst Eowyn, König Theodens Tochter, die „Schildmaid Rohans“ wie der Krieger Aragorn sie nennt. Auch sie würde lieber das Schwert führen, als sich um Kinder und Greise zu kümmern. Und sie ist Aragorn in keuscher Zuneigung verbunden. Der seinerseits hält noch immer an der Liebe zu Arwen fest.

Elitemonster aus dem Genlabor

Arwen, gespielt von Liv Tyler, erscheint ihm – oh, Minne! – nur im Traum und drückt ihre vollen Lippen auf die seinen. Sie ist leider „elbischen Blutes“. Und Gandalfs Pferd? Nicht weniger als „Der Fürst aller Rösser“. Ein schmiedeeisernes Gemanisch, das da durch die Dialoge stelzt. Doch die antifaschistische Botschaft wiegt das auf. Was nützt es, sich im heimeligen Auenland zu verkriechen, wenn Mittelerde brennt? Das begreifen sogar die Hobbits.

Was wäre eine solches Opus ohne entscheidende Schlacht? Es geht gegen Helms Klamm, eine Festung in den Bergen. Für ihre Erstürmung lässt Jackson sämtliche Register dröhnen. Angefangen von den Schlachtrufen, die er in einem Stadion mit 25000 Cricketfans aufnahm, über die Uruk-hai, jene Elite-Monster aus dem Genlabor des bösen Saruman (Christopher Lee), bis hin zu gründlich choreografierten Massenszenen, bei denen Aragorn und die Seinen sich dem Feind entgegenwerfen wie Surfer in die Brandung.

Peter Jackson scheint diesmal für den Schnitt erheblich mehr Zeit gehabt zu haben. Filmfreunde kreideten ihm beim ersten Teil haufenweise Brüche und Anschlussfehler an: 156 Mängel führt die Internetseite movie-mistakes.com auf. Seit Erscheinen der DVD, bei der sich die Suche erheblich verfeinern lässt, sind noch einige hinzugekommen. Die Mängelliste für den zweiten Teil wird hingegen eine Weile auf sich warten lassen: In diesem Getümmel geht einiges unter.

„Die zwei Türme“ beamen den Zuchauer in eine Parallelwelt voller Wargen, Olifanten und immer neuer Monsterkreationen. Seltsam schwach und pixelig wirken allein der Ökogeist Baumbart und seine Gefährten, die dem finsteren Streben Sarumans eine zivilisationskritische Note entgegen setzen sollen. Doch sie wirken, als wären sie auf Recyclingpapier gerechnet. Nicht zuletzt wurde das verworrende Handlungsgeflecht auf einen klaren Showdown reduziert, der das Publikum im kargen Gebirg von Mittelerde mit einem Cliffhanger zurücklässt. Klassisches, vorwärts stürmendes Überwältigungskino.

Soweit, so nahezu perfekt. Am Ende ist es trotzdem erleichternd, wenn die allmächtige Hand der Regie die Pausentaste drückt.

Ab Mittwoch in 34 Berliner Kinos

Ralph Geisenhanslüke

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