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Kultur: Schlaflos in Treptow

Das Pony ist kaum größer als ein Hund.Ein Bonsai-Pony.

Das Pony ist kaum größer als ein Hund.Ein Bonsai-Pony.Friedlich liegt es auf dem Flokati, zu Füßen eines Mannes, der weiße College-Slipper mit Bommeln trägt.Dazu schwarze Socken.Der Mann, den man nur vom Bauch abwärts sieht, sitzt auf einem ziemlich geblümten Sofa und liest eine Boulevardzeitung.Solche Fotos findet man auf dem Flohmarkt, an den Ständen der Wohnungsauflöser.Aus den Alben verstorbener Menschen fallen Bilder, die niemand mehr haben will.Erinnerungen aus fremden Leben, Schnappschüsse, unfreiwillige Komik oder gelungen-mißlungene Bilder wie dieses, bei dem der Kopf des Mannes fehlt.Dafür ist das Pony gut zu sehen.So gut, daß Element of Crime es auf das Cover ihres neuen Albums "Psycho" genommen haben.

Alternder Zirkuskünstler in bescheidenem Kitsch-Wohnzimmer - diese Melancholie paßt zu ihrer Musik und zu den Texten von Sven Regener, in denen immer alles so schön perdu ist.Es ist das zehnte Album der Gruppe.Bei so einer Anzahl haben Kritiken oft den Tenor: "Ihre neue Platte klingt runder und rockiger" oder auch: "rauher und kantiger mit vielen Einflüssen".Solche Rituale erinnern an die Goldene Uhr für verdiente Rock-Rentner.Die kurze Ansprache des Betriebsrats besteht aus beliebigen Phrasen, weil man eigentlich gar nichts zu sagen hat.Die Musik von Element of Crime ist auch so ein Fall: Seit Regener Ende der achtziger Jahre begann, deutsche Texte zu schreiben, hat die Band immer wieder bitter-süße Kabarett-Zirkus-Vaudeville-Chanson-Assoziationen in ihre Songs gestreut, hat das Image einer (West-)Berliner Großstadtbohème kultiviert.Einer Bohème, wie es sie vor dem Mauerfall in Kreuzberg gab.

Wer heute daran erinnert, gerät sofort unter Verdacht, ein bemooster Althippie zu sein.Aber es gab eine Zeit, da spielten Element of Crime den Soundtrack zu verwelkten Partys, morgens um fünf, mit überquellenden Aschenbechern und halbvollen Gläsern, zu Tagen außerhalb des Raum-Zeit-Gefüges, als noch nicht alles wichtig und eilig war.Regener wird von Zeitzeuginnen übereinstimmend als "damals sehr leckeres Bürschchen" bezeichnet.Der zerknautschte Charmeur ist gereift, dem Hippietum aber weiterhin abhold - und jeder deutschen Bedenkenträgerei und Grönemeyerei sowieso.Auch die Berlin-Patina verbleicht allmählich, seit 3/4 der Band in Hamburg siedeln.

"Schlaf ist nur ein Irrtum" ist eine aktuelle und typische Songzeile.Oder: "Ein Pitbullterrier steht in einem Erdbeerbeet und wird von 20 Katzen ausgebuht".Und wenn vom "Abdruck im Kissen" die Rede ist, geht es nicht um traniges Beziehungsgewinsel, sondern um die Prinzessin der letzten Nacht.Ihren spröden Sound haben Element of Crime perfektioniert, seit ihre zweite Platte, "Try to be Mensch", 1987 von John Cale produziert wurde.Wie bei allen Künstlern, die nicht aus der Retorte kommen, sind Veränderungen allenfalls über Jahre ablesbar, nicht von einem Endverbraucherprodukt zum nächsten.Die Band wird auch in Zukunft nicht für Bierreklame oder Boutiquenumkleidekabinenbeschallung taugen.Regener singt einmal mehr mit gedämpfter, bisweilen schläfriger Stimme, spielt Trompete und Gitarre.Die Band, nun auch mit Violine und Akkordeon, schrummt vorsätzlich nachlässig durch ihre wehmütigen Songs.Business as usual.Aber diese Kontinuität klingt reif - nicht müde.Allenfalls freundlich geistesabwesend.Wie der laue Luftstrom, der im Frühjahr über den Asphalt der Stadt zieht und existentialistische Hinterhofkater so wohlig schnurren läßt.

Element of Crime spielen am Sa, 8.5., in der Arena

20 Uhr

RAALPH GEISENHANSLÜKE

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