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Daniela Ziegler im Café Keese.

© Gianmarco Bresadola

Schlagerrevue im Café Keese: Schweiß der einsamen Herzen

Die Staatsoper hat sich im legendären Café Keese eingemietet. Beate Baron inszeniert die literarisch-musikalische Collage „Eine kleine Sehnsucht“. Allerdings ist die Umsetzung dürftig.

Die ganzen sieben Jahre lang, die das Charlottenburger Exil der Staatsoper gedauert hat, trug sich Intendant Jürgen Flimm mit dem Gedanken, er müsse endlich mal eine Produktion seines Hauses im Café Keese organisieren. Weil sie doch fast direkte Nachbarn sind in der Bismarckstraße, das Schillertheater und das legendäre Tanzlokal, in dem – honni soit qui mal y pense – die Damen die Herren auffordern dürfen.

Nun hat er den Plan realisiert, auf die allerletzte Sekunde – denn Mitte Juli ist ja bekanntlich das Dauergastspiel der Lindenoper im Westen der Stadt vorbei. Kein ernstes Stück Musiktheater sollte es sein, keine Uraufführung eines extra für den Ort komponierten Kammer-Dramas, sondern eine literarisch-musikalische Collage, bei der viel getanzt wird. Weil das so gut zum Genius Loci passt.

DJ Dieter erfüllt jeden Wunsch

Wer am Schillertheater startet, muss tatsächlich nur einmal über die Ampel, vorbei am „Haus der Wirtschaft“ und steht schon vor der Tür der Nummer 108, einem gesichtslosen Neubau aus den 60er Jahren, in dem auch die „Rialto Film“-Produktionsfirma residiert. Mittwochs ist hier normalerweise Wunschmusikabend: „Ob Standard, Latin, Disco Fox oder Walzer – DJ Dieter erfüllt jeden Musikwunsch!“, verheißt ein Plakat am Eingang. Selbigem ist auch zu entnehmen, dass montags und donnerstags der Schwoof durch eine Sektverlosung sowie eine Show von Entertainer Jörg gekrönt wird. Ein anderer Herr, der hier regelmäßig Platten auflegt, stammt ganz offensichtlich aus dem Ruhrgebiet und hört auf den Namen Hari-BO.

Für alle, die noch nie im Café Keese waren, ist es ein Ort mit märchenhaft-verruchter Aura. Der „Ball paradox“, der hier Prinzip ist, wurde in Hamburg erdacht, 1948, in Zeiten, als es den Trümmerfrauen an allem mangelte, besonders an Männern in heiratsfähigem Alter. 1966 öffnete die Berliner Dependance, in der ebenfalls das Logo einer Prinzessin mit Wespentaille über der Tür prangt und Herren, vor die eine tanzwillige Dame hintritt, keine Körbe verteilen dürfen.

Die Decken sind bordellrot

Wer dann tatsächlich im Café Keese steht, findet alles noch viel exotischer vor, als er es sich hat träumen lassen: Decke und Wände sind bordellrot gestrichen, Nadelfilz bedeckt den Boden, abgeschabte, durchgesessene Bugholzstühle ermuntern dazu, möglichst wenig am Platz zu verweilen – und es gibt tatsächlich Tischtelefone, in einem unaussprechlich hässlichen Plexiglasdesign der 80er Jahre.

Wer jetzt an ein Anna-Viebrock-Bühnenbild denkt, dem sei gesagt: Hier wird das Optische durchs Olfaktorische ergänzt. Alles im Café Keese dünstet den Schweiß der einsamen Herzen aus. Eine Steilvorlage, möchte man meinen, für einen synästhetisch betäubenden Abend zum Thema Liebe.

Die titelgebende Sehnsucht kommt in Beate Barons Inszenierung tatsächlich schnell auf – allerdings nur in Bezug auf ein Minimum an Handlung, auf eine Geschichte oder zumindest einen roten Faden. Die verdienten Staatsopern-Sängerinnen Katharina Kammerloher und Adriane Queiroz, die Schauspielerin Daniela Ziegler sowie der Moderator Ralph Morgenstern aber rezitieren lediglich poetische Schnipsel, die sich zu keinem Zeitbild, keiner Atmosphäre fügen wollen.

Ironie wird verschnulzt

Warum Dirigent Kai Tietje, dem mit den Geschwistern Pfister schon so mancher große Kleinkunstabend gelungen ist, vor allem Tangos spielen lässt, bleibt ebenfalls rätselhaft. Ebenso wie die Haltung der Darsteller zu den Stücken, die teils original argentinisch sind, oft aber auch nur Schlager, die sich durch südamerikanischen Rhythmus interessant machen wollen. Soll hier ironisiert werden oder doch nur geschnulzt?

Weil Idee und Konzept fehlen, bleibt dem Publikum nichts anderes übrig, als zähe 90 Minuten lang vor allem auf Tänzer zu starren. Wobei nur ein professionelles Tangopaar aufgeboten wird, im Übrigen aber Choristen der Staatsoper Choristinnen übers Parkett schieben, mehr oder minder elegant. Und wenn schließlich dieselben Herren für eine „Pennys from heaven“-Choreografie wirklich und wahrhaftig mit Sonnenbrillen und Regenschirmen antreten, dann ist das hier kein „Ball paradox“ mehr, sondern einfach nur: Keese.

Wieder am 1., 3., 5., 10., 12. und 13. Juli

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