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Schlingensief: Fingerfood für Afrika

Christoph Schlingensief wirbt beim Festival in Herrenhausen für sein Operndorf. Die Eröffnungsfeier musste allerdings ohne den Regisseur auskommen.

Hannovers fehlende Urbanität wird von autofreundlichen Straßen ersetzt, die die Stadt mit den Worten preist: „Wie hätten wir sonst den Verkehr zur Expo bewältigen sollen?“ Es gibt jedoch auch ein Prunkstück, auf das die Stadt zu Recht stolz ist: Die Herrenhauser Gärten sind ein barockes Juwel, das nur deshalb erhalten blieb, weil die Welfenkönige lieber in London residierten als an der Leine. Jetzt soll das Schloss Herrenhausen, einst Sommerresidenz, wieder aufgebaut werden – finanziert von der Volkswagenstiftung und ohne Debatten wie in Berlin. Ein Grund dafür ist wohl, dass das Schlösschen nie so bedeutend und ideologisch befrachtet war wie das Berliner Stadtschloss und die Erwartungshaltung an die künftige Nutzung deshalb nicht so turmhoch ist.

Doch nicht nur der geplante Schlossbau wertet die beliebten Gärten auf. Die resolute Intendantin Elisabeth Schweeger, bis 2009 am Schauspielhauses Frankfurt, wurde engagiert, um den neugegründeten Kunstfestspielen Herrenhausen Profil zu verleihen. Schweeger beruft sich auf Gottfried Wilhelm Leibniz, den größten Sohn der Stadt, der auch die Herrenhauser Gärten mitgestaltete, und dessen Traum vom Zusammenspiel der Künste und Wissenschaften. Leibniz, der Humboldt Hannovers: Forschung, Gaukelei, Musik, Dialog, Theater, Experiment – alles soll möglich sein in diesen Gärten, die „Kunstraum“ und „Lebensraum“ zugleich sein wollen.

In so ein Konzept passt viel hinein, auch Christoph Schlingensief, der hier bis Ende Juni sein afrikanisches Operndorfprojekt Remdoogo präsentiert. Die Eröffnungsfeier musste allerdings ohne den Regisseur auskommen. Wegen des Rücktritts von Horst Köhler, der das Dorf in Burkina Faso besuchen wollte, ist Schlingensief kurzfristig selbst nach Afrika gereist, um seine Helfer zu ermutigen. Aber per Videobotschaft spricht er zur Festgemeinde in Herrenhausen und erklärt, dass 90 Prozent unserer Afrikabilder von weißen Nasen gemacht seien. Und dass ihn sein Manaus-Erlebnis tief traumatisiert habe, weil das dortige Opernhaus nur aus europäischen Materialien bestünde, von den Kolonialherren importiert. In Remdoogo soll das anders sein. Den Kindern dort werde man nur erklären, wie bestimmte Instrumente funktionieren. Alles andere würden sie aus sich heraus entwickeln. Es geht nicht darum, eine Oper in der Savanne zu installieren, sondern um etwas Grundsätzliches: Wie entsteht Kreativität?

Schlingensiefs Architekt Francis Kéré hat Mühe, den 200 Besuchern das Modell des Dorfs zu erklären und zu zeigen, wie die Beete hinter den Häusern so angelegt werden, dass der Wind sie nicht fortweht. Denn die Gäste interessieren sich nicht dafür, wie Afrikaner ihren Hunger stillen, sondern für ihren eigenen: Die Auswahl an Fingerfood ist knapp. Mehr als 20 Minuten Zeit hat Kéré nicht, dann beginnen die ersten Festspiele in Herrenhausen mit der ersten Oper der Musikgeschichte: „Orfeo“ von Monteverdi, in einer fulminanten Inszenierung von Alexander Charim mit dem Berliner Ensemble Kaleidoskop. Nach dem Ende eilt jeder zurück in die Stadt. Breit genug sind die Straßen ja.

Infos: kunstfestspiele.hannover.de

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