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Kultur: Schloss der dreizehn Feen

Wie im Märchen: In Reichenow kümmern sich ausschließlich Frauen um die Hotelgäste

Jetzt fehlt nur noch Dornröschen. Das Märchen der Gebrüder Grimm geht einem nicht aus dem Sinn, wenn die beiden Hoteldirektorinnen von ihrem Schloss in Reichenow erzählen. Dreizehn Feen können doch kein Zufall sein. Aber tatsächlich kümmern sich genauso viele Frauen in diesem Wellnesshotel um die Gäste. Das klingt schon sehr nach einem Märchen. Und die etwas mysteriöse Anreise zu später Stunde tat ihr Übriges.

Das Dorf Reichenow liegt am Rande des Oderbruchs, abseits der Hauptstraßen und Eisenbahnlinien. An einer Kreuzung haben der Wind oder ein Witzbold obendrein das Hinweisschild zum Schloss verdreht. Es folgte eine Irrfahrt. Umso mehr freute man sich über die glückliche Ankunft und die Geschichten über das Schloss in netter Runde und den Duft frischer Rosen. Außerdem, hieß es, stecke der Schlossturm voller Geheimnisse.

Die 13 Feen wirbeln in der Küche des Hotels, im Service und in der Verwaltung. Dazu kommen Physiotherapeuten, Kosmetikerinnen und andere Fachfrauen im Wellnessbereich. Da versteht es sich fast von selbst, dass auch in der Geschäftsführung Frauen das Sagen haben: zwei Berlinerinnen. Ursula Hahn und Sabine Kirstein, die sich vor vielen Jahren in Britz kennen lernten, haben sich auf dem herrlich gelegenen Schloss einen Traum erfüllt. „Wir suchten nach einem Ort, an dem wir selbst gerne einen Urlaub verbringen wollten, auch einmal ohne Kinder und Familie“, sagt Steuerexpertin Sabine Kirstein. Es fehlte nicht an Ideen für ein besonderes Haus. „Herausforderungen bestimmen mein ganzes Leben“, sagt Ursula Hahn. Sie arbeitete als Grafikdesignerin, studierte Wirtschafts- und Betriebstechnik, beschäftigte sich mit Ayurveda, Farb- und Stilberatung und mit der Inneneinrichtung von Läden, Büros und Hotels.

Allerdings vermarkten die beiden ihr Haus nicht als reines Frauenhotel. Auch Männer und Familien sind als Gäste willkommen. „Aber die Dienstleistungsbranche ist nun einmal eine typisch weibliche Domäne. Deshalb lassen wir da auch künftig keinen Mann ran.“

Von Ursula Hahn gemalte Bilder schmücken viele Räume. Sie hat auch die Farben in den Salons und im Tagungsraum ausgesucht, der nicht an kühle Konferenzstätten erinnert. Das Tagungsgeschäft ist auch längst von anderen Buchungen überflügelt worden. Hochzeiten dominieren die Wochenenden – mit einer langen Tafel im Freien mit Blick auf den See.

Doch wie kam es überhaupt zu einer solchen Fügung zwischen zwei Berlinerinnen und einem Schloss weit draußen in der Einöde? Das Haus erlebte bis zur Wiedervereinigung das übliche Auf und Ab, wenn auch sein Ursprung etwas Besonderes hatte. Denn das Schloss, das der Fantasiewelt von Walt Disney oder der des bayerischen Märchenkönigs Ludwig II. entstammen könnte, war eigentlich ein Geschenk eines Vaters an seinen Sohn. Großgrundbesitzer August Friedrich von Eckardstein baute das Anwesen im englischen Tudorstil für seinen Nachkommen Julius zwischen 1897 und 1900. Dessen Sohn lebte hier bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, ehe die Rote Armee auch Reichenow erreichte. Die Bodenreform teilte den Grundbesitz auf, ins Schloss zogen Flüchtlinge, die Schule, eine Gaststätte und ein Frisörsalon.

Als nach der Wende Leerstand drohte, meinte es das Schicksal gut mit Reichenow. Die Ende 1992 von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und der Brandenburger Landesregierung gegründete gemeinnützige Schlössergesellschaft begann mit der Sanierung des neugotischen Schmuckstücks. Für fast sechs Millionen Euro bekämpfte man den Grauschleier und lud 1997 zur Besichtigung des nun wieder strahlenden Juwels ein.

Das lasen die beiden Berlinerinnen in der Zeitung. Sie nahmen Kontakt zur Schlössergesellschaft auf, und schon bei der ersten Visite kannte die Begeisterung keine Grenzen. Sie entwarfen ein Konzept für ein 22-Zimmer-Hotel, kümmerten sich um einen Kredit und pachteten ihr Traumschloss.

Anfangs verbreitete sich im Dorf das Gerücht, wonach „zwei reiche West-Berlinerinnen“ das Haus gekauft hätten. Die Skepsis wich, als die Geschichte vom Pachtvertrag die Runde machte. Es beruhigte manche Einwohner, ihr Schloss nach wie vor im faktischen „Staatsbesitz“ zu wissen.

Längst hat sich die Stimmung entkrampft. Auch die Reichenower laden ihre Gäste zum Essen oder zum Kaffeetrinken ins Schloss ein. Dann staunen sie manchmal über die vielen Angebote fürs Wohlbefinden, schütteln aber auch den Kopf. Denn bei Rundgängen durch das Zimmer der Alten Mamsell, das Alte Herrenzimmer, das beeindruckende Zimmer am Turm oder durch das Romantikzimmer suchen sie vergeblich nach einem sonst fast unverzichtbaren Gegenstand: den Fernseher.

Dafür gibt es im ganzen Haus Bücher über Bücher, auch über Märchen. Wer von den Gästen allerdings nicht völlig auf die Flimmerkiste verzichten will, kann sich eines unentgeltlich ausleihen. Das kommt allerdings selten vor, lediglich einige männliche Tagungsteilnehmer wollen nicht völlig ihren gewohnten Tagesablauf umkrempeln. Stammgäste dagegen verzichten gern auf das Gerät, weil sie hier einmal richtig abschalten wollen. Märchenhafte Gedanken kommen dann von ganz allein.

Blumenzauber im Schloss. Alle Räume sind individuell gestaltet und mit viel Liebe zum Detail dekoriert.

Der erste Schlossherr August Freiherr von Eckardstein liebte den Stil der Neugotik .

Hier wird unter gläsernen Lüstern geheiratet:

Die Fenster des Festsaals öffnen sich zum weitläufigen Park.

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