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Kultur: Schlossgespenster

Die Galerie Camera Work zeigt Robert Polidoris „Versailles“-Fotografien

Still ruht das Schloss, wie eingefroren in der Zeit. Selten macht es Robert Polidori den Betrachtern so leicht wie auf seinen Aufnahmen von Versailles. Kein Tschernobyl, das der Fotograf 2001 in Schutzkleidung betrat, um die tote Zone abzulichten. Kein vom Hurrikan zerstörtes New Orleans, das Polidoris Kritikern auf dessen Großformaten viel zu ästhetisch daherkam. „Würden Sie hinschauen, wenn ich es in aller Hässlichkeit ablichtete?“, hält der Fotograf dagegen. Tatsächlich speist sich die Faszination seiner Aufnahmen aus dem Konträren. Der Erhabenheit der Motive und dem Schrecken, der in ihnen wohnt. In Versailles aber scheint er darauf zu verzichten. Man sieht prächtige Zimmer, repräsentative Gemälde an den Wänden und gewinnt einen Eindruck von Weite, der das gigantische Ausmaß der einst königlichen Residenz geradezu fühlbar macht.

Und doch. Was Polidori in der Galerie Camera Work ausstellt, ist sehr wohl mehrdeutig. Bekannten Interieurs aus den achtziger Jahren, in denen das Schloss aufwendig restauriert wurde, stellt er jüngere Aufnahmen gegenüber, die hier erstmals zu sehen sind. Statt mit aufgeschlitzten Wänden und mit Betten unter Folie, wie sie während der Bauarbeiten zu sehen waren, kokettiert das Schloss nun mit seiner wiedererworbenen Würde. Doch weshalb richtet Robert Polidori den Blick dann immer wieder auf fast unsichtbare Türen in der Wandbekleidung? Und warum sieht man die imposanten Historiengemälde auf seinen Fotos so selten ganz?

Allmählich mischt sich Unbehagen in den starren Blick, mit dem der Fotograf sich selbst und andere zur empfindsamen Wahrnehmung zwingt. Früher habe er Filme gemacht und die Dinge in Bewegung versetzt, meint Polidori. Bis ihm klar geworden sei, dass der statische Raum ein weit präziseres Medium abgebe. Tatsächlich lenkt nichts ab von den mit Bildern wie mit Orden behängten Wänden. Von jenen tausend Türen, die das Gebäude wie Nähte durchtrennen. Das Schloss, eine Montage. Nach dem König kamen 1789 die konstituierenden Kräfte der Französischen Revolutionen, anschließend bezog Napoléon einen Teil des Gebäudes. König Wilhelm von Preußen ließ sich nach seinem Sieg über Frankreich im Spiegelsaal zum Kaiser erheben – und die Franzosen galten diese Demütigung nach 1918 mit dem Versailler Vertrag ab.

Dem Schloss sieht man die wechselvolle Vergangenheit nicht gleich an, doch sie ist als Wissen präsent. Und dann ist da die schiere Größe: ein Dokument jener Gigantomanie, mit der sich Herrscher zum absoluten Zentrum ihres Staates machten. Versailles ist aber auch Sinnbild für den Untergang und die zahllosen Reparaturen, mit denen das geplünderte, über Jahre ungenutzte Schloss seinen Glanz zurückerhielt. Die Serie „Versailles“ ist anders, aber nicht harmloser als Polidoris direkte Dokumente der Zerstörung. Ihre Motive wirken subtiler. Unweigerlich spürt der Betrachter, dass jedes Bild einen Schauplatz der Geschichte in den Fokus nimmt. Christiane Meixner

Galerie Camera Work, Kantstr. 149; bis 26.6., Di–Sa 11–18 Uhr.

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